Gleich zwei Kriminalserien machen Münster derzeit bundesweit bekannt: Thiel und Börne und der grimmige Privatdetektiv Wilsberg. Während das Tatort-Duo ausschließlich auf der Mattscheibe ermittelt, basiert Wilsberg auf den gleichnamigen Büchern von Jürgen Kehrer. 2012 erblickte eine weitere Wilsberg-Inkarnation das Licht der Welt: Wilsberg der Comic. Ich habe Wilsberg-Zeichner Jörg Hartmann in seinem Atelier getroffen und mit ihm über die Unterschiede der TV- und der Comicadaption gesprochen.
Der Wilsberg im Comic unterscheidet sich sowohl optisch als auch inhaltlich vom Wilsberg aus der TV-Serie. Warum ist das so?
Nun, als ich anfing mich mit dem Thema zu beschäftigen, kannte ich die Serie noch gar nicht. Die Idee für den Comic entstand ja bereits 2000, als ich noch an der Fachhochschule hier in Münster studiert habe. Mein damaliger Prof., Marcus Herrenberger, hatte mir als Studienprojekt aufgegeben eine Comicadaption von Wilsberg zu machen. Ich begann dann zunächst damit die Romane zu lesen, hielt mich von der Fernsehserie aber fern. Ich wollte verhindern, dass die Bilder aus der Fernsehserie meine eigenen Vorstellungen überlagern. Irgendwann, als ich das Gefühl hatte, dass mein Bild im Kopf stark genug war, habe ich mir die Serie angeguckt. Das war dann übrigens eine große Überraschung für mich!
Warum das?
Weil ich festgestellt habe, dass wir im Film teilweise ein ganz anderes Figurenpersonal haben, als im Roman beziehungsweise Comic. Das fand ich sehr interessant. Statt dem dicklichen Kommissar Stürzenbecher, der gerne auch mal einen trinkt, spielt in der Serie die recht ordentliche Kommissarin Springer mit. Einerseits habe ich den Wilsberg aus den Büchern wiedererkannt, andererseits gibt es schon einige Unterschiede.
Was sind denn Deiner Meinung nach die spezifischen Vorteile des Wilsberg-Comics im Gegensatz zur TV-Serie? Was kann der Comic, was im Fernsehen nicht möglich ist?
Das ist zum einen, dass man im Comic Themen behandeln kann, die man im Fernsehen, am Samstagabend so nicht unbedingt zeigen kann. Das fängt damit an, dass der Wilsberg im Comic raucht. Der größte Unterschied entsteht aber wahrscheinlich durch die Produktionsbedingungen. Alles, was im Fernsehen gemacht wird, kostet immer gleich ein Schweinegeld. Das ist ja auch etwas, das sehr viel kritisiert wird, dass die Leute sagen: „Da ist zu wenig Münster drin, warum dreht ihr das alles immer nur in Köln?“ Das macht das ZDF aus Kostengründen. Das habe ich im Comic nicht. Im Comic kann ich jede Szene in Münster spielen lassen und das habe ich auch konsequent so gemacht. Es gibt zum Beispiel ein unscheinbares Treppenhaus im Comic, dass es so wirklich in Münster existiert. Ich bin mit einem Kumpel zum Bahnhof gefahren und hab dort Fotos gemacht und es später auf Papier gebracht. Das ist der große Vorteil vom Zeichnen: Es kostet immer gleich viel, egal wo die Szene spielt. Für meine Bilder müssen keine Straßen gesperrt werden. Ich bin im Comic also nicht so sehr an irgendwelche Budgets gebunden.
Waren die Schauplätze denn schon durch den Roman vorgegeben?
Der Roman beschreibt schon recht genau, wo welche Szene spielt, aber ich habe mir die Freiheit genommen, hier Entscheidungen zu treffen. Mit dem Einverständnis von Jürgen Kehrer. Es gibt zum Beispiel ein konspiratives Treffen, dass ich zum (Café) Maikotten verlegt habe, weil das ein Ort ist, den ich sehr gerne mag, an dem ich mich sehr gerne aufhalte. Der Comic ist mein Ding gewesen, und dann wollte ich da auch mein Münster zeigen, wenn sich die Möglichkeit dazu ergeben hat.
Konntest oder musstest Du noch weitere Dinge ändern?
Ja, natürlich. Man kann einen Roman nicht 1:1 im Comic durcherzählen. Und es tut auch gar nicht Not: Viele Dinge kann man im Comic einfach zeigen, statt sie zu beschreiben. An den Dialogen musste ich manchmal ein bisschen kürzen oder umschreiben.
Und wie hat Jürgen Kehrer, der Romanautor, darauf reagiert?
Er hat mir viele Freiheiten gelassen. Es war eher so, dass ich ihn um Rat gefragt habe. Es gab Situationen, in denen ich mir nicht ganz sicher war. Es existiert zum Beispiel eine Szene in der Wilsberg in ein Haus geht und beschreibt, wie er den Hausflur wahrnimmt, unter anderem, dass es dort nach Pisse stinkt. Und da hab ich ihn gefragt: „Sag mal Jürgen, würde Wilsberg jetzt sagen, ‚es roch nach Urin‘ oder ‚es stank nach Pisse‘?“ Und dann kam zurück „stank nach Pisse“. (lacht) Keiner kennt seine Figuren so gut wie der Autor. Mit der Zeit hatte ich ein ganz gutes Gefühl für den Charakter Wilsberg entwickelt, aber Jürgen kennt ihn natürlich besser.
Wie hat das ZDF auf „Deine“ Wilsberg-Interpretation reagiert?
Um ehrlich zu sein, war ich mir da lange Zeit nicht sicher. Ich hatte ja eine ganz eigene Interpretation gemacht und vielleicht dachten die, dass ich ihren Wilsberg scheiße fand und das mein Comic ein Statement gegen die ZDF-Serie war. Aber dass Leonard (Lansink, Schauspieler von Wilsberg) den Comic gut fand, wusste ich schnell, weil er hier eines Tages plötzlich vor dem Atelier stand und sich das Ding angucken wollte. Aber wie die zuständigen Redakteure beim ZDF das fanden, das wusste ich nicht.
Und heute?
Mittlerweile ist alles klar. Spätestens als mich der Wilsberg-Redakteur Martin Neumann vom ZDF im Sommer 2013 anrief und fragte, ob ich für sie einen Webcomic machen wollte, war klar das sie auch meinen Wilsberg mochten. Der Webcomic erzählt die Vorgeschichte zu dem Wilsberg-Film „Nackt im Netz“. Das griff wirklich schön ineinander, weil der Film auf einer Geschichte basiert, die er nicht zeigt und die man so auch Samstagabend um 20:15 Uhr wohl auch nicht zeigen kann. Aber durch das Medium Comic bekommt man automatische eine gewisse Distanz zum Thema, weil das ja „nur“ gezeichnete Bilder sind. Es kann also durchaus sein, dass wir so was noch mal machen.
Das ist ja nicht der einzige Wilsberg-Comic, der seit dem Album erschienen ist. Wie kam es denn zu den Kurzgeschichten-Comics, die Du für das Münster-Magazin veröffentlicht hast?
Eigentlich hatte ich vor gleich ein Jahr nach „In alter Freundschaft“ das nächste Wilsberg-Album raus zu bringen. Aber das ging einfach nicht. So ein ganzes Album zu zeichnen kostet unfassbar viel Energie, gerade zum Schluss. Und da ich parallel zum Erscheinungstermin auch noch zwei Ausstellungen vorbereitet habe, wusste ich zum Teil gar nicht mehr, wo mir der Kopf stand. Ich brauchte also zunächst etwas Pause. Und dann muss man ja auch sehen, dass man sich noch ein bisschen über Wasser hält, dass Geld rein kommt. Es ergab sich dann aber, dass der Grafit-Verlag mir ein Belegexemplar von „Wilsbergs Welt“ zuschickte, einer Kurzgeschichtensammlung, bei der ich das Cover beigesteuert habe. Wie das so ist, hatte ich aber zunächst keine Zeit das Buch zu lesen. Erst später, als ich mit einer Erkältung auf dem Sofa lag, fiel mir das Ding wieder in die Finger und ich fing an zu lesen. Und sofort war ich wieder Feuer und Flamme.
Gerade die Geschichte, in der der echte Wilsberg den Schauspieler während des Promikellnern kennenlernt, fand ich sofort reizvoll („Der Rest ist Schweigen“). Da geht bei mir im Kopf dann sofort alles los: Da kann man ja vielleicht was machen. Vielleicht genau zu dem Zeitpunkt, an dem das echte Promikellnern stattfindet? Ich fing dann an E-Mails zu schreiben und Leute anzurufen. Leonard musste ich natürlich auch fragen, weil er in der Geschichte recht schrullig rüber kommt. Und schließlich wurde die Geschichte als Heftbeilage im Münster-Magazin veröffentlicht. Dort erschien auch noch eine zweite Wilsberg-Kurzgeschichte als Comic, in der Wilsberg über die Weihnachtstage im Knast landet. Das hat wirklich Spaß gemacht. Das war ein ganz anderes Arbeiten, als an dem großen Album. Bei jeder Kurzgeschichte ein frisches Szenario mit frischen Charakteren. Das hat mir sehr gefallen.
Werden die Comic-Kurzgeschichten denn später noch mal an anderer Stelle veröffentlicht?
Ja. Wenn alles gut geht, wird noch 2015 eine Wilsberg-Kurzgeschichtensammlung erscheinen, in der auch die beiden Comics aus dem Magazin enthalten sind. Der Band wird mindestens sechs Geschichten enthalten, die mal länger und mal etwas kürzer sein werden – wobei „Der Rest ist Schweigen“ mit seinen 17 Seiten jetzt keine Seltenheit ist. Da sind wirklich ein paar spannende Episoden dabei, unter anderem eine Geschichte, die Rückblicke auf die Stadthistorie von Münster enthält.
Nun verdienst Du ja nicht nur mit Comics Deine Brötchen. Was brütest Du denn sonst noch so aus?
Ja das ist so ein Mischding. Ich bin auch Comiczeichner, aber eben nicht nur. Das liegt auch daran, dass ich so viele Dinge reizvoll finde. Auch wenn das eine ganz andere Welt ist, mache ich zum Beispiel sehr gerne Kinderbücher. Das ist für mich als Illustrator eine gute Abwechslung. Nach einem Kinderbuch habe ich dann auch wieder Lust auf etwas Erwachseneres. Und es hängt natürlich auch oft davon ab, was so rein kommt. In letzter Zeit ist es relativ viel Comic, was auch ganz gut bezahlt ist. Für ein wissenschaftliches Abschlusssymposium der Volkswagenstiftung habe ich zum Beispiel einige Forschungsprojekte im Comic „Evolutionsbiologie“ vorgestellt. Das war für mich in sofern sehr interessant, da ich selber mit einigen Forschern sprechen konnte und mir auch ihre Experimente angeschaut habe. Die Stiftung war durch „Die Große Transformation“ auf mich aufmerksam geworden. Transformation ist eine Wissenschafts-Graphic Novel zum Thema Klimaerwärmung, an der ich zusammen mit Robert Nippoldt und ein paar anderen Zeichnern beteiligt war. Vor Kurzem habe ich einen Kinder-Webcomic für das Grimme-Institut zum Thema Sicherheit im Internet gemacht. Daneben gibt es natürlich noch ein zwei andere Comicprojekte, über die ich aber noch nicht allzu viel erzählen kann: eine weitere Romanadaption und ein sehr erwachsene Geschichte, an der ich auch selber schreibe.
Jörg. Vielen Dank für das Gespräch.
Wilsberg-Links
- „Wilsberg – In alter Freundschaft“ – Werkstattberichte zur Entstehung des Comics von Jörg Hartmann
- „Wilsberg – Nackt im Netz“ – Webcomic zur TV-Episode beim ZDF
- Münster-Magazin – Magazin, in dem die Comic-Kurzgeschichten erschienen sind
Weitere Themen
- „Evolutionsbiologie“ – Wissenschafts-Graphic Novel für die Volkgswagenstiftung
- „Die große Transformation“ – Blog zum Dokumentarcomic und kostenloser Download der englischen Version
- Website von Jörg Hartmann
Wenn ihr euch für Literaturadaptionen interessiert: Das Interview mit Florian Biege beschäftigt sich mit der Comicadaption von Walter Moers‘ „Die Stadt der träumenden Bücher“. Bildnachweis: Jörg Hartmann sowie Carlsen Comics, Münster-Magazin, Volkswagen-Stiftung, Jocoby Stuart und Philipp Spreckels.