Ich habe mit der Gamedesign-Professorin Linda Breitlauch über Serious Games und Geschichte gesprochen. Nicht erst seit den tragischen Ereignissen in Oslo wird diskutiert, welche ‚Verarbeitungsmechanismen‘ in welchem Medium zulässig sind. So kam es Ende 2010 zum Eklat als der Student Jens M. Stober ein PC-Spiel präsentierte, das sich mit den Schicksalen von ‚Republikflüchtigen‘ aber eben auch DDR-Mauerschützen an der ehemaligen Innerdeutschen Grenze beschäftigte.
Ein Q History-Beitrag zur Serious Games.
„Widerwärtig“ nannte es die BILD-Zeitung, „geschmacklos“ der Mauer-Forscher Hans-Hermann Hertle. Die Rede ist von „1378 (km)“ – einem Ego-Shooter, der die unzähligen Dramen an der Innerdeutschen Grenze zwischen DDR und BRD aufgreift. Das Brisante dabei: Der Spieler kann nicht nur als ‚Republikflüchtiger‘ versuchen, den Todesstreifen zu überwinden, sondern auch in der Rolle eines DDR-Grenzschützers Jagd auf die Flüchtlinge machen. Das Spiel wurde von dem Studenten Jens M. Stober entwickelt und sollte eigentlich zum Denken anstoßen, doch das Gegenteil war der Fall: Das Spiel sorgte bei Opferverbänden, Historikern und in der internationalen Presse für Empörung.
Q HISTORY: Bei mir am Telefon ist jetzt Linda Breitlauch, Medienwissenschaftlerin und Professorin für Gamedesign an der Mediadesign Hochschule in Düsseldorf. Frau Breitlauch, die Diskussion um 1378 (km) ist sehr schnell hoch gekocht und ins Unsachliche abgeglitten. Woran lag das?
Linda Breitlauch: Ich denke das hat damit zu tun, dass sich die Meisten gar nicht damit beschäftigt haben. Der Wunsch der Macher war ja letzten Endes, zu zeigen, wie man sich wohl fühlen kann in so einer Situation – wenn Sie da stundenlang diesen Zaun entlang gehen. Das ist ja alles möglichst authentisch nachgebildet gewesen. Der Wunsch dahinter war ja eigentlich, Aufmerksamkeit zu erwecken. Zu sagen: „Stellt euch mal vor, was Menschen damals durchgemacht haben.“ Dass man dieses Szenario auf beiden Seiten erleben kann, also sowohl als Flüchtling als auch als Grenzschützer, sollte ja darauf hinweisen, dass im Prinzip beide damals mit der Situation irgendwie umgehen mussten. Ich glaube das Entsetzen ist wohl nur deshalb so hoch geschlagen, weil man theoretisch eben auch einen Mauerschützen spielen kann.
Q HISTORY: Auf der Pressekonferenz Mitte Dezember kam es zu einer hitzigen Diskussion darum, ob das Spiel als Bildungsmethode oder sogar als Kunstobjekt gelten kann. Wie denken Sie darüber?
Breitlauch: Grundsätzlich halte ich Computerspiele für Kunst-fähig. Im Sinne von: sie können Kunst sein, aber genau wie jedes andere Medium muss nicht jedes Spiel Kunst sein bzw. beansprucht es vielleicht auch gar nicht für sich. In diesem Fall würde ich jedoch sagen: es ist in jedem Fall kulturell wertvoll. Es ist etwas, was unser Volk, geschichtlich gesehen, sehr stark berührt, unsere Kultur sehr stark berührt. In keinem anderen Land hätte man so darauf reagieren können, weil es eben kein kulturelles Erbe in dieser Beziehung gibt. Es ist zumindest ein Beweis dafür, dass Spiele sehr wohl kulturell wertvoll sein können. Wenn wir im Film diese Thematik der Deutschen Teilung aufgreifen, gilt es auch als Kulturgut. Warum sollte es bei Spielen anders sein?
Q HISTORY: Computerspiele wie 1378 (km) werden als Serious Games, als „ernste Spiele“ bezeichnet. Was versteckt sich hinter diesem Begriff?
Breitlauch: Mit Serious Games sind solche Spiele gemeint, die möglicherweise etwas vermitteln können, was man so im realen Leben noch gebrauchen kann. Die Schwierigkeit ist dabei, dass so ein Spiel natürlich auch Spaß machen muss. Die Lerninhalte sollen also nicht so plakativ wie in einem Rechenbuch, sondern nebenbei mit-vermittelt werden. Es geht nicht darum, Lernstoff regelrecht zu ersetzen, sondern auf eine andere Art und Weise an die Schüler heran zu tragen.
Q HISTORY: Sind Serious Games also die besseren Schulbücher?
Breitlauch: Hm … Ganz grundsätzlich kann man natürlich schon sagen, dass es es sich hierbei um ganz unterschiedliche didaktische Ansätze geht, auch in der klassischen Pädagogik. Im Prinzip steckt darin ein wenig „zurück zu Konfuzius“, der sagt: Wenn Du mir etwas zeigst, ist das alles schön und gut, aber wenn ich es selber machen, selber erfahren kann, dann vergesse ich es eben nicht so leicht, dann lerne ich es besser. Dieser Ansatz ist vielleicht der wichtigste bei Serious Games. Ich habe eine Spielherausforderung, die ich mit entsprechend angepassten Spielmechaniken löse. Wenn ich das Spiel dann erfolgreich gelöst habe, stellt sich natürlich so etwas wie ein Belohnungsgefühl ein. Damit ist die Motivation enorm groß, auch weiter zu lernen, das nächste Level zu erreichen.
Q HISTORY: Frau Breitlauch, 1378 (km) ist ein Spiel, das durch einen Editor auf Grund eines bereits vorhandenen Spiels entwickelt wurde. 1378 (km) ist ein Ego-Shooter – gibt es keine anderen Möglichkeiten, das Drama an der innerdeutschen Grenze darzustellen?
Breitlauch: Es gibt auch andere Editoren, z.B. bei Strategiespielen, mit denen man solche MODs (Modifikation eines vorhandenen Computerspiels) machen kann. Das kommt aber wiederum nicht so häufig an die Öffentlichkeit. Ich habe das mal mit Studenten durchgespielt. Die haben dann die Geschichte Brandenburgs nachgebaut, mit allem, was dazugehört. Sie mussten natürlich auch viel recherchieren: wie ist die Stadt gegründet worden, was hat sie so durchlebt, welche Belagerungen musste sie überstehen und so weiter. Daraus ist dann eine komplette Strategie-Aufbau-Map entstanden.
Q HISTORY: Ist es nicht aber auch problematisch, dass Serious Games bei Jugendlichen mit Millionen-Dollar-Blockbustern wie „Assasin’s Creed“ oder „Call of Duty“ konkurrieren müssen?
Breitlauch: Ja, wenn Sie von Budgets sprechen ist das tatsächlich ein Problem. Für Serious Games gibt es einfach nicht so viele Gelder wie für Unterhaltungsspiele, weil sie in der Rege nicht auf einen kommerziellen Erfolg aus sind. Aber anders herum. Wenn man im Unterricht sagt, „anstatt von einem Weltatlas packen wir heute mal unseren USB-Stick aus und machen eine Schnitzeljagd komplett um die Erde“, kann ich mir durchaus vorstellen, dass das bei den Schülern sofort eine hohe Motivation wecken würde. Allein dadurch, dass hier ein anderes Medium benutzt wird. In dem Fall ist die Konkurrenz nicht „Assasin’s Creed“ oder „Call of Duty“ oder „World of Warcraft“, sondern das Schulbuch. Und in diesem Fall, glaube ich, würde ein Spiel sehr gut bestehen.
Q HISTORY: Warum halten Sie Serious Games für die Bildung der Zukunft für so wichtig?
Breitlauch: Ganz einfach deshalb, weil Bildung so wahnsinnig wichtig ist! Wir müssen letzten Endes von dem Konzept weg „ich lerne bis zur nächsten Klassenarbeit und dann vergesse ich wieder alles“. Lernen soll wirksam sein. Das, was ich lerne, soll möglichst mein ganzes Leben lang in meinem Kopf bleiben und ich denke, dass digitale Medien durch ihre Interaktivität dazu sehr viel beitragen können.
Q HISTORY: Trotz der Empörungswellen scheint sich 1378 (km) durchgesetzt zu haben. Zur Zeit ist das Spiel in der Bundeskunsthalle in Bonn ausgestellt.
Breitlauch: Ja, ich denke dass das Spiel einfach eine Möglichkeit bietet, die Thematik nochmal anders zu diskutieren. Es ist ja durchaus sehr beklemmend, wenn man im Spiel an diesem Zaun entlang geht … Ich habe die Teilung Deutschlands noch miterlebt, aber unsere Kinder nicht mehr – und wie kann man die damalige Situation am besten vermitteln, wenn die Kinder nicht selbst einmal, zumindest virtuell, in so eine Situation geraten? Fotos tun das eine, Filme auch, aber wirklich als Figur sich selber so zu fühlen, wenigstens ein bisschen, wie man sich damals gefühlt haben mag. Das ist nochmal etwas Zusätzliches, was das Gedächtnis daran auch wach halten kann.
Q HISTORY: Ein schönes Schlusswort. Das war Linda Breitlauch, mit der ich mich über Serious Games, spielendes Lernen und die Innerdeutsche Grenze unterhalten habe.
Auch erschienen auf
Zockwork Orange.
Autor/Redaktion: Philipp Spreckels
Moderator: Daniel Meyer
Foto: copyright by Jens M. Stober