Die Waffen der Neuen Kriege: elektronische Überwachung, Kampfdrohnen und militärische Hackerattacken.
Ein Q History-Beitrag über Kriege in einer globalisierten Welt.
Wir haben jetzt einiges über Krieg und Gesellschaft in den vergangenen Jahrhunderten gehört. Wie steht es aber um bewaffnete Konflikte in den letzten Jahrzehnten? Haben das Ende des Kalten Krieges, Globalisierung und Vernetzung der Welt auch den Krieg verändert?
Bei uns im Studio ist nun Prof. Dr. Reihnard Meyers, Politikwissenschaftler und Spezialist für Internationale Beziehungen von der Uni-Münster.
Q History: Herr Meyers, hat sich der Krieg seit dem Fall der Mauer stark verändert? Oder ist doch alles beim alten geblieben?
Reinhard Meyers: Also was in der Politikwissenschaft und in der Friedens & Konfliktforschung immer wieder betont wird, ist die Tatsache, dass erst das Ende des Kalten Krieges die Entstehung der sogenannten Neuen Kriege – mit großem N – ermöglicht hat.
Die Neuen Kriege, die ja im Wesentlichen asymmetrische konventionelle Kriege sind; zwischen Regierungstruppen auf der einen Seite und Milizen, Freischärlern, Kriegsherren vielleicht auch mafiaähnlichen Organisationen auf der anderen.
Q History: Und was ist jetzt so neu an den Neuen Kriegen? Freischärler, Rebellen und so weiter gab es doch auch schon während des Kalten Krieges?
Reinhard Meyers: Ja, was sich verändert hat, ist die Ausfransung des Kriegsgeschehens. Sie können heute im Gegensatz zu den klassischen, zwischenstaatlichen Kriegen eigentlich kein Anfang und kein Ende feststellen. Es gibt natürlich bei den Neuen Kriegen keine Friedensverträge mehr, es gibt keine Kriegserklärungen. Ja, es gibt … ja eigentlich auch nicht mehr in einer Vielzahl von Fällen die Anwendung des klassischen Kriegsvölkerrechts! Also alles was sich Europa seit der Renaissance relativ mühsam erarbeitet hat.
Das hat sich sehr stark verändert. Und ich würde sagen diese Ausfransungsprozesse werden in Zukunft sogar auch noch zunehmen.
Q History: Das heißt, richtige Friedensverträge sterben aus?
Reinhard Meyers: Die Veränderung des Krieges besteht darin, dass das klassische Korsett der Kriegsführung verlassen wird. Das war ja früher alles sehr deutlich vorgeschrieben. Auch wenn Bismarck das mit der Emser Depesche das provoziert hat – aber es gab eine Kriegserklärung! Und am Schluss der militärischen Auseinandersetzungen gab es auch einen Friedensvertrag! …
.Wo ist die Kriegserklärung in Afghanistan, ja man könnte sogar fragen, wo ist sie im Irak?
Q History: Wie sieht es mit der Wirtschaft aus, welche Rolle spielt sie in heutigen Konflikten?
Reinhard Meyers: Die Neuen Kriege stehen natürlich in unmittelbarer Verbindung mit der globalisierten Schattenwirtschaft. Wenn man etwa an solche Kriege denkt, die sich finanzieren dadurch, dass sie etwa über Bodenschätze – sprich Diamanten und Erdöl – verfügen.
Ein Gutteil dessen, was sich in Subsahara Afrika im Lauf der letzten 15 Jahren an militärischen Auseinandersetzungen entwickelt hat, finanziert sich ja auf dem Weg den Verkaufs solcher Bodenschätze – legal oder ileagl – auf dem Weltmarkt und über den Einkauf von Waffen.
Q History: Ja aber könnte man diese Geschäfte nicht unterbinden. Zum Beispiel durch Handelsblockaden?
Reinhard Meyers: Das Problem ist, dass gegenseitige Verflechtungen die klassischen Embargos – die etwa, die der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verhängt – nicht mehr funktionieren. Sie haben eigentlich schon im Jugoslawischen Bürgerkrieg nicht mehr funktioniert, weil die Griechen hübsch hingegangen sind und das UNO-Embargo fröhlich unterlaufen haben. … Ich habe damals auch ein paar rumänische Studenten gehabt, die mit einem alten Armeelaster übers Wochenende kanisterweise den Treibstoff nach Serbien geschmuggelt haben, bis die Mafia ihnen auf die Schliche kam und sagte. Also hier, diesen Ameisenverkehr wollen sie nicht länger dulden. Sie machen das lieber im großen Stil, da ist der Profit dann auch deutlich besser zu handhaben.
Denen wurde der Boden zu heiß aber sie haben damit hübsch ihr Studium finanziert.
Q History: Tja, dass nenn ich mal außergewöhnliche Studentenjobs.
Reinhard Meyers: Ja! Naja, gut, warum soll die Veränderung der Kriegslandschaft nicht auch neue Studentenjobs mit sich bringen. (lacht)
Q History: (lacht) Aber zurück zum Thema. Wirtschaftsembargos haben heute keine guten Karten mehr?
Reinhard Meyers: Richtig. Selbst wenn Sie den klassischen Staat noch isolieren könnten, können Sie doch Staat und Staatsbürger nicht mehr isolieren. Die Staatsbürger können doch nicht nur auf den klassischen Schmuggel zurückgreifen, sondern jederzeit über das Internet verfügen!
Q History: Stichwort Internet. Wie bewerten Sie die Nachrichten von sogenannten Cyberattacken durch staatliche Hacker? Zum Beispiel der Angriff auf die Netzwerke Estlands 2007 oder der Computerwurm Stuxnet, der im September diesen Jahres das iranische Atomprogramm lahmgelegt hat.
Reinhard Meyers: Das wird in Zukunft wahrscheinlich noch zunehmen. Einer der ersten europäischen Staaten, der darauf reagiert, sind merkwürdigerweise die Polen. Die Polen haben im letzten Jahr ein cyberwar batallion aufgestellt, dass zunächst einmal die Aufgabe hat, die Einrichtungen der polnischen Armee vor Internetangriffen von Außen zu schützen. Aber selbstverständlich sich auch kundig macht, wie man solche Angriffe gleich zu gleich erwidern kann.
Q History: Aha. Und wie könnte denn so ein Szenario zum Beispiel aussehen?
Reinhard Meyers: In dem Kontext gehen die polnischen Kollegen im Augenblick davon aus, dass in Zukunft Kriege nicht mehr mit einer Blockade oder mit einem Angriff feindlicher Truppen beginnen werden, sondern zunächst einmal mit großen Internetaktionen. Das wäre in der Tat eine Neuerung deren Konsequenzen wir heute in der Tat nur sehr grob abschätzen können.
Q History: Während militärische Hackerangriffe noch relativ selten sind, kommen unbemannte Kampfdrohnen schon heute im Pakistanischen Grenzgebiet täglich zum Einsatz. Steht in der physischen Kriegsführung eine Revolution bevor?
Reinhard Meyers: Ja, man muss da wahrscheinlich unterscheiden. Die anglo-amerikanische Fachwelt vertritt ja schon seit Jahren die These, dass es eine revolution of military affairs geben habe. Diese revolution of military affairs gab es in der Geschichte schon ein paar mal – die Schlachtordnung, die Wilhelm von Oranien eingeführt hat, war eine solche, die Einführung des Maschinengewehrs im Amerikanischen Bürgerkrieg – also das ist in der Tendenz nichts Neues.
Q History: Wenn es auch keine Revolution ist – wie weit ist man denn in dieser elektronischen Kriegsführung?
Reinhard Meyers: Wenn Sie sich manche Manöver der Bundeswehr ansehen, dann stellen Sie heute schon fest. Da sitzen 200 Mann in großen Zelten auf grüner Wiese – alle vorm Bildschirm – und es fährt kein einziger Panzer mehr durch das Kartoffelfeld. Trotzdem ermöglichen diese Dinge aber eine Aussage über die Kampfkraft wie klassisch, materiell, hoch gerüstete Armeen.
Q History: (lacht) Erinnert irgendwie an die Debatte um Computerspiele, wie Call of Duty …
Das war Prof. Dr. Reihnard Meyers über die Neuen Kriege im Zeitalter der Globalisierung.
Foto: flickr, by-nc-nd UK Ministry of Defense I, II, by-nc Gary Hunt;