Für diejenigen, die es verpasst haben: Anfang 2012 hat mich das Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung interviewt. Wer sich also dafür interessiert, was ich von Geschichte im Radio, Guido Knopp-bashing, geisteswissenschaftlichen Taxifahrer-Syndromen und langen Texten im Netz halte, kann ja mal rein schauen.
Mit freundlicher Genehmigung des L.I.S.A.-Wissenschaftsportals kann das Interview nun auch direkt hier im Blog gelesen werden.
„Geschichte einmal anders erzählen“
Interview mit Philipp Spreckels
Philipp Spreckels studiert in Münster Geschichte – angestrebter Abschluss ist der Master. Neben seinem Studium arbeitet er regelmäßig an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Journalismus. Unter anderem betreibt er einen eigenen Blog und war für etwa zwei Jahre Onlinechef des Geschichtsmagazins ‚Q History‚ beim Campussender ‚Radio Q‘. Zurzeit ist er Online-Redakteur der Westfälischen Wilhelms-Universität.
Wir haben Philipp Spreckels zu seinem Verständnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit gefragt und wollten unter anderem wissen, wie Geschichte jenseits gängiger Formate in modernen Medien erzählt werden kann.
„In einem Beitrag ist oft mehr hängen geblieben als in einer Vorlesung“
L.I.S.A.: Herr Spreckels, Sie studieren Geschichte und haben lange Zeit zusätzlich für das Campus-Radio der Uni Münster gearbeitet. Was zieht einen Historiker zum Radio?
Spreckels: Die Möglichkeit sich in einem, mir damals, völlig unbekannten Medium auszuprobieren. Und um es besser zu machen. Unter Dozenten wie auch Studenten gehört das Guido Knopp-bashing heute ja immer noch zum guten Ton. Sich aber selber einmal hinter die Kamera oder das Mikrofon zu begeben und es (hoffentlich) besser zu machen, das wollte ich testen.
L.I.S.A.: Und was führte Sie speziell zum Radio?
Spreckels: Nun, das war eher ein Zufall. Ich hatte gerade ein langwieriges Hobbyprojekt abgeschlossen und suchte nach einem neuen Zeitvertreib. Da kam ein Aushang des Campusradios gerade Recht – zumal ich von dem Geschichtsmagazin vorher noch nie gehört hatte. Ich dachte mir: warum nicht?
Was mich als Historiker beim Radio gehalten hat und was mich immer noch daran fasziniert, ist die Vielfalt der Zutaten und die besondere Textsituation. Für den Zuschauer gibt es – wie im TV – kein Zurück mehr, er kann den Absatz nicht noch einmal lesen und überdenken. Das macht das Schreiben der Texte – gerade historisch-komplexer – unheimlich ansprechend. Andererseits hat man durch Soundeffekte, musikalische Untermalung, Audioquellen oder die raspelige Stimme eines alten Zeitzeugen die Möglichkeit, den Hörer sehr nah an das Thema heran zu führen. Wobei natürlich auch diese Chancen Risiken mit sich bringen (z.B. Emotionalisierung, Personalisierung).
Zudem ist es faszinierend den hohen Herrschaften aus der Vorlesung nun plötzlich auf Augenhöhe zu begegnen und mit Ihnen ungestört zu diskutieren. Manchmal hatten wir sogar das Gefühl, dass durch die Recherchen, Interview und Schnitt eines Beitrags mehr hängen geblieben ist als in so mancher Vorlesung.
L.I.S.A.: Spielte auch die berufliche Aus- oder Weiterbildung eine Rolle? Die Perspektive auf eine Anstellung in den Medien?
Spreckels: Natürlich. Auch wenn wir noch so gute Noten haben oder viele Praktika absolvieren, nahezu bei allen Studenten der Geisteswissenschaften und somit auch bei Historikern ist das ‚Taxifahrer-Syndrom‘ stark ausgeprägt. Ständig hat man das Gefühl sich fortbilden zu müssen und sich auch ja außerhalb des Studiums in der ‚wirklichen‘ der ‚praktischen‘ Welt beweisen zu müssen. Die Angst, nach dem wunderbaren Geschichtsstudium ohne Job dazusitzen, kann einen sehr belasten – aber eben auch motivieren.
„Ich habe mit dem toten Leopold von Ranke gesprochen“
L.I.S.A.: Sie waren unter anderem Online-Chef von Q History, der Geschichtsrubrik von Radio Q. Was ist das Anliegen von Q History? Nach welchen Kriterien haben Sie die Themen gesetzt?
Spreckels: Das Ziel von Q History war es immer Geschichte inhaltlich oder methodisch anders zu erzählen als in den Mainstream-Magazinen. Wir haben uns immer gefragt: welche Geschichten, welche Aspekte großer / kleiner Geschichten sind bisher noch nicht behandelt worden? Welche Zusammenhänge gehen unter? Wie steht es z.B. um die Darstellung von Geschichte in Computerspielen und Comics? Welche Erinnerungsorte hält der deutsche Fußball bereit …
Dazu kam dann die Frage nach dem wie. Wie kann man diese Geschichten neu erzählen? Das fing an mit ungewöhnlichen Themenkomplexen und reichte später bis hin zu Audiokollagen und fiktiven Interviews, wie mein Gespräch mit dem toten Leopold von Ranke (gesprochen von Gerd Althoff) in der Berliner U-Bahn.
L.I.S.A.: Und inhaltlich? Gab es auch dort eine Entwicklung?
Spreckels: Ja, auch inhaltlich haben wir uns mehr getraut. Während wir uns anfangs lediglich klassisch-distanzierte Themen wie Monarchie, Reisen und Erinnerungsorte behandelten – haben wir uns später auch an heikle tagesaktuelle Themen gewagt. Aus diesen Überlegungen sind dann z.B. die „Wir sind dagegen“ (Arabischer Frühling, Tea Party) und die „Wer darf töten?“-Sendung (Erschießung bin Ladens) entstanden, in denen wir zu den aktuellen Ereignissen und Fragestellungen eine in den Medien oft vernachlässigte, historische Perspektive bieten wollten.
„Vielleicht erlebt der lange Text im Netz sein Comeback“
L.I.S.A.: Sie bloggen auch. Worüber und welches Medium eignet sich ihrer Meinung nach besonders für historische Themen und warum?
Spreckels: Wenn ich mein eigenes Nutzungsverhalten beobachte, würde ich prinzipiell Podcasts oder eben Radio-on-demand für lange und komplexe Fragestellungen empfehlen. Wer sich im Zug oder beim Abwasch einen Podcast anhört, bringt Zeit und Aufmerksamkeit mit. Einen solchen Hörer kann man auch schon mal mit Interviews konfrontieren, die 8, 20 oder gar 60 Minuten dauern. (Das beste Beispiel für einen solchen Wissenschaftspodcast ist meiner Meinung nach Raumzeit, ein Magazin das gänzlich aus sehr langen Interviews mit Weltraumwissenschaftlern besteht.) Es gibt nur einen Haken aus Perspektive der Macher: noch kann Google keine Sounddateien indexieren und die black box der Aufnahme für Internetrecherchen anderer öffnen.
Bei Blogs und Twitter sieht die Situation anders aus. Wer vor einem Desktop-PC hockt, befindet sich im Arbeitsmodus, der scannt oft nur noch die Seiten und lässt sich kaum noch auf längere, geschweige denn komplexe Texte ein. Hier ist es besser kurze Häppchen, Quellenfunde, kleine Interviews, Eindrücke, Zitate, Hinweise oder Kommentare zu platzieren und auch angenehmer zu lesen. Aber ich bin mir sicher, dass sich dieses Leseverhalten bzw. diese Lesehaltung sehr stark durch die Verbreitung der Tablet-PCs ändern wird. Vielleicht erlebt der lange Text im Netz dann ja sein Comeback.
„Live hat kaum jemand die Sendung gehört, aber…“
L.I.S.A.: Welche Resonanz finden so spezifische Medienangebote, wie beispielsweise Radioprogramme oder Blogs zur Geschichtswissenschaft? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Spreckels: Gerade weil wir unser Geschichtsmagazin nicht auf die Schlagwörter Münster und Studenten beschränkt haben, konnten wir in relativ kurzer Zeit viele Menschen erreichen. Allerdings muss man hier sehr stark zwischen dem Radio-Livestream selbst und den Artikeln im Netz bzw. dem Podcast unterscheiden.
Live hat kaum jemand die Sendung gehört. Da waren wir schon happy wenn 15 Leute im Stream verweilten. (Wie viele uns mit analogem Radio zugehört haben können wir nicht sagen.) Was mich aber nicht verwundert hat: wer setzt sich schon dienstagabends um 20 Uhr vor das Radio und hört zu? Wir haben ein lean forward-Magazin für ein lean back-Medium gemacht.
Dementsprechend anders war die Lage im Netz. Durch die Abo-Möglichkeiten von Blog, Facebook & Twitter konnten wir hier viele Fans und Follower aber auch Kollegen erreichen und vor allem: auch mit ihnen kommunizieren! Die Verschriftlichung und Aufbereitung der Beiträge mit Archiv- und Themenbildern hat die Beiträge vielen nahe gebracht, die uns sonst nie ihre Aufmerksamkeit geschenkt hätten. Neben dem Blog selbst haben Suchmaschinen wie Google und die Aktivitäten in den Sozialen Netzwerken hier eine ganz entscheidende Rolle gespielt.
L.I.S.A.: Und können Sie sagen, wer genau Ihr Magazin las / hörte?
Spreckels: Das ist beim Radio natürlich nicht immer so einfach. Aber ein grobes Gefühl dafür stellt sich bei einem schon ein. Obwohl das Magazin ausschließlich von Studenten gemacht wurde, hatte ich das Gefühl, dass wir – was unsere Stammleser und -hörer angeht – eher den webaffinen, akademischen Mittelbau als die Studenten erreicht haben. Zumindest der Altersdurchschnitt der Facebook-Fans scheint dies zu bestätigen.
„Der akademische Mittelbau ist netzaffin“
L.I.S.A.: Wie reagiert die Wissenschaft auf neue mediale Angebote? Wie steht es um die Beteiligung von Wissenschaftlern an modernen Medien?
Spreckels: Die Reaktionen sind eher verhalten. Zumindest in meinem Studium war es so, dass die meisten Dozenten neue Medien und Techniken nicht wirklich als Alternative zu den klassischen Kanälen wie Zeitung und TV gesehen haben. Bei den Geschichtsdidaktikern und -kultur’lern sieht die Sache natürlich etwas anders aus – aber auch dort konzentriert man sich noch sehr stark auf die Arbeit mit den alten Medien. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass sich dies gerade durch den netzaffinen akademischen Mittelbau in den nächsten Jahren ändern wird. Etwas allgemeiner gesprochen: ein Ende der Medialisierung der Wissenschaften (nicht nur der Geschichte) ist noch nicht in Sicht – im Positiven wie im Negativen.
Philipp Spreckels hat die Fragen der L.I.S.A.Redaktion schriftlich beantwortet.
Foto: cc-by-nd Lalit Shahane