Die Reise des Liutprand von Cremona

Ein Q History-Beitrag über die diplomatischen Reisen des Liutprand von Cremona.

liutprand-von-cremona-reise

Auf heikler Mission fern der Heimat – Zwischen Zeremoniell, Rhetorik und Drohgebärden. Henrik Kipshagen und Philipp Spreckels haben sich mit einer Gesandtschaftsreise ins mittelalterliche Konstantinopel beschäftigt.

Liutprand von Cremona: „Aus Ausonien kam Bischof Liudprand ich von Cremona. Nach Konstantinopel gereist aus Liebe zum Frieden, und war hier im Sommer vier Monate lang ein Gefangener.“

Dieses Gedicht markiert das Ende eines der ersten Gesandtschaftsberichte, die aus dem Mittelalter überliefert sind. Der Gesandte eines römisch-deutschen Kaisers schrieb diese Worte nach gescheiterter Mission an die Wand seiner Unterkunft in Konstantinopel. Am Beispiel dieser Gesandtschaft wollen wir von politischen Reisen im Mittelalter erzählen.

Reisen über weite Entfernungen war im Mittelalter nicht so alltäglich wie heute. Sie dauerten länger, waren aufwändiger und mitunter sehr gefährlich. Deshalb reiste man auch nur aus ganz bestimmten Gründen, etwa um zu handeln, um eine Pilgerstätte zu besuchen, oder als Gesandter im Auftrag eines Herrschers. Eva Schlotheuber, Historikerin an der Universität Münster:

Eva Schlotheuber: „Gesandtschaften im Mittelalter dienen, nicht anders als heute, dem Austausch zwischen Herrschaften aus unterschiedlichen kulturellen Bereichen. Für diese Gesandtschaften kamen, wenn sie beispielsweise in den Raum des Islam gingen, oder in den Raum des byzantinischen Reiches, nur sehr wenige Leute in Frage, das ist auch ein großer Unterschied zu heute. Denn man musste gute Sprachkenntnisse beherrschen, aber auch musste man in der Lage sein, andere Religionen zu tolerieren.“

Über solche Missionen sind uns nur wenige Berichte überliefert. Einer der ersten stammt aus dem späten 10. Jahrhundert und handelt von der Gesandtschaft des italienischen Bischofs Liutprand von Cremona. Er reiste im Auftrag Kaiser Ottos I. nach Konstantinopel, in die Hauptstadt des byzantinischen Reiches, die heute Istanbul heißt. Hier residierte Kaiser Nikephoros, mit dem Liutprand eine Heirat zwischen Ottos Sohn und einer byzantinischen Prinzessin aushandeln sollte. Auf diese Weise wollte man einen Konflikt der beiden Herrscher in Süditalien verhindern. Doch hören wir zunächst, wie er Otto von der Ankunft in Konstantinopel berichtet.

Liutprand von Cremona: „Am vierten Juni sind wir nach Konstantinopel gekommen und Euch zur Schmach mit Unehren behandelt worden. Man sperrte uns ein in eine freilich große, offene Pfalz, die weder die Kälte abhielt noch gegen die Hitze Schutz gewährte. Bewaffnete Krieger wurden als Schutz aufgestellt, um all den Meinen den Ausweg, den anderen den Eingang zu verwehren.“

Offenbar begegnete man Liutprand und seinen Gefährten mit Ablehnung und Misstrauen. Doch für die Abschottung von Gesandten gab es gute Gründe.

Eva Schlotheuber: „Die können ja auch mit den Gegnern des eigenen Herrschaftshauses diplomatische Beziehungen aufnehmen, und dann eine schwierige Situation in der eigenen Herrschaft dazu ausnutzen, um sich Vorteile zu verschaffen. Also das war denen natürlich klar, deswegen wurden Gesandtschaften immer eingehegt.“

In den nächsten Wochen und Monaten folgte jede Menge Streit: über Ottos expansive Politik in Italien, Glaubensfragen und die Bedingungen für eine Heirat. Ein besonders schwieriges Thema war der Kaisertitel.

Liutprand von Cremona: „Am sechsten Juni aber […] wurde ich dem Hofmarschall und Kanzler Leo, einem Bruder des Kaisers, vorgestellt und hatte mit ihm einen großen Streit über Euren kaiserlichen Titel zu bestehen. Denn er wollte Euch in seiner Sprache nicht Kaiser nennen, sondern geringschätzig König.“

Aber wieso war dieser Titel so problematisch? Frau Schlotheuber erklärt:

Eva Schlotheuber: „Es ist deswegen ein großes Problem, weil der Kaiser ja die hegemoniale Macht über die ganze Welt hatte. Mit der Kaiserkrönung Karls des Großen kommt ein konkurrierendes Kaisertum hinzu. Beide haben den Anspruch, die höchsten Monarchen der Welt zu sein, und das, kann man sich leicht vorstellen, das führt natürlich zu unendlichen protokollarischen Schwierigkeiten, wenn die aufeinandertreffen. Wobei man sagen muss, dass das Byzantinische Reich dem weströmischen Kaiserreich weit, weit voraus war und von der Eigenwahrnehmung von einer Augenhöhe nicht die Rede sein kann.“

Dass man Otto im byzantinischen Reich nicht als gleichrangig anerkannte, verdeutlicht eine Szene, die sich wenige Tage später abspielte.

Liutprand von Cremona: „Und da wir nun nach […] der Feier der Messe zur Tafel geladen wurden, setzte er ans obere Ende des langen schmalen Tisches auf den Platz vor mir den Gesandten der Bulgaren, der, nach ungarischer Weise geschoren, eine eherne Kette trug. […] Aber meine Herren, in dem Gedanken, dass die Beleidigung nicht mir, sondern Euch galt, verließ ich die Tafel.“

Heute würden wir so etwas lediglich als gezielte Demütigung einstufen. Für Menschen des Mittelalters hatten solche Vorfälle aber ganz andere, reale Konsequenzen.

Eva Schlotheuber: „Wenn man sich vorstellt, dass Rangverhältnisse, Beziehungen abgebildet werden im Zeremoniell, ist es natürlich elementar wichtig, den Rang einnehmen zu können, der einem zusteht. Wenn man einmal einer Rangminderung zugestimmt hat, ist das ein Präzedenzfall, und es ist nicht möglich, oder nur schwer möglich, da wieder herauszukommen, und man hat für nachfolgende Generationen oder nachfolgende Gesandtschaften dann eine ganz schlechte Voraussetzung geschaffen.“

In den folgenden Monaten wurden keine Fortschritte bei den Verhandlungen über die Heirat gemacht. Vielmehr versuchte Kaiser Nikephoros, Liutprand Gebietsabtretungen in Italien abzuringen. Dazu war der Gesandte aber gar nicht autorisiert. Seine Unnachgiebigkeit provozierte die Byzantiner zu vielfältigen Drohungen.

Liutprand von Cremona: „Mit unserem Gelde […]werden wir Völker gegen [Otto] aufhetzen, und wir werden ihn zerschmettern wie einen Tonkrug, der, einmal zerbrochen, nicht wiederhergestellt werden kann.“

Da sich Liutprand mit solchen Reden nicht beeindrucken ließ, gestattete man ihm schließlich, zu Otto zurückzukehren. Als er schon abreisefertig auf seinem Pferd saß, beschlagnahmten die Byzantiner in letzter Sekunde einige kostbare purpurne Mäntel, die er zuvor gekauft hatte.

Liutprand von Cremona: „Habt ihr noch nicht genug mich oder vielmehr meine Gebieter beleidigt? Denn sie trifft der mir angetane Schimpf. Genügt es nicht, dass ich unter Wache gehalten, dass ich durch Hunger und Durst gequält worden bin, […] dass man mich nun auch noch meines Eigentums beraubt? […] Welche Schande! Weichliche […] Menschen, Lügner, […] Faulenzer gehen in Purpur einher, nicht aber Helden, tapfere, kriegserfahrene Männer […]!“

Schlussendlich gelingt ihm die Abreise aus Konstantinopel:

Liutprand von Cremona: „[So] verließ ich zu Schiff mit meinem Führer jene ehemals so reiche und blühende, jetzt aber hungernde, lügenhafte, treulose, räuberische, habsüchtige, geizige und prahlerische Stadt.“

Obwohl die Mission Liutprands von Cremona gescheitert war, brach der Kontakt zwischen den beiden Kaiserreichen nicht ab. Einige Jahre später gelang dank weiterer Gesandtschaften doch noch die Heirat von Ottos Sohn mit der byzantinischen Prinzessin Theophanu. Kann man Liutprand als typisches Beispiel für einen Reisenden im Mittelalter bezeichnen? Eva Schlotheuber meint:

Eva Schlotheuber: „Er gehört natürlich zu dieser Oberschicht, die einfach europaweit agiert hat. Also das darf man sich auch im Frühmittelalter und im Hochmittelalter nicht zu eng vorstellen. Die Oberschicht hat sehr, sehr weit agiert auch sehr weit geheiratet, während die große Masse der Bevölkerung sehr ortsfest war. Also das war ein Verhältnis, dass sich später im Laufe des Mittelalters immer weiter aneinander angeglichen hat. Die Fürsten gehen eine engere Verbindung ein mit dem Land das sie beherrschen und gleichzeitig werden breite Gruppen mobiler. Das ist so eine Grundsatzdynamik, die im Laufe des Mittelalters in Gang kommt.“

Die Texte von Liutprand von Cremonas Gesandtschaftsbericht basieren weitestgehend auf der deutschen Übersetzung der Liudprandi legatio ad imperatorem constantinopolitanum nicephorum phocam in der Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe (Liudprands Werke. In: Quellen zur Geschichte der sächsischen Kaiserzeit. Herausgegeben von Albert Bauer und Reinhold Rau. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe VIII, Darmstadt 1971.). Inhaltliche Auslassungen und Veränderungen sind mit eckigen Klammern markiert.

Foto: copyright by Michał Sacharewicz