Ein Q History-Beitrag über das Heilige Römische Reich Deutscher Nation.
Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation … Wer hat diesen Titel nicht schon mal im Geschichtsunterricht gehört? Wie aber kann ein Reich zugleich deutsch und römisch sein? Und welche Aufgaben warten auf den Kaiser eines solchen Reiches? Henrik Kipshagen und Philipp Spreckels sind dem nachgegangen.
„Wir schreiben das Jahr 476. Gotische Krieger marschieren durch die Straßen Roms. Der letzte Römische Kaiser muss abdanken. Ein mächtiges Weltreich, das über ein halbes Jahrtausend Bestand hatte, haucht seinen letzten Atem aus …“
Auch wenn das Weltreich in dieser Form endgültig untergegangen war – die Idee eines Römischen Kaiserreichs bliebt weit über die Antike hinaus lebendig.
Wir wollen die Wiederbelebung des Römischen Kaisergedankens untersuchen und seine Entwicklung bis ins 19. Jahrhundert nachzeichnen.
Weihnachten 800. Karl der Große wird in Rom vom Papst zum Kaiser gekrönt. Der Fränkische König gibt sich fortan als Herrscher über das Römische Reich aus, und knüpfte so an die seit 300 Jahren brach liegende Tradition des antiken Imperiums an. Er hatte zuvor seine Macht über einen Großteil Europas ausdehnen können. Die Stellung Papst Leos III. lässt sich zu diesem Zeitpunkt nur bedingt mit der heutigen Bedeutung des Papstes vergleichen. Martin Kintzinger, Historiker an der Universität Münster:
Martin Kintzinger: „Der Papst ist damals einfach der Bischof von Rom. Es ist eine ganz schwache Figur, die versucht, sich gegen eigene Widersacher durchzusetzen in der Kirche und im Adel von Rom, der immer den Anspruch hatte, er bestimmt, wer Bischof von Rom ist. Der Papst war lange Jahrhunderte noch nicht der Führer einer Weltenkirche.“
Als Leo zunehmend in Bedrängnis gerät, reist er ins Reich der Franken. Hier bietet er Karl dem Großen einen Handel an: sollte der Frankenkönig ihm Schutz gewähren, würde er diesen zum Kaiser krönen. Karl konnte sein Königtum durch den neuen Titel in die direkte Nachfolge des Römischen Reiches stellen und sich auf eine lange Tradition von Herrschern berufen. Die Bedeutung der römischen Kaiserwürde ging aber noch über die lange Geschichte hinaus. Im Mittelalter glaubte man, in einer rätselhaften Bibelstelle das Römische Reich zu erkennen.
Martin Kintzinger: „Das ist eine alttestamentarische Vision aus dem Propheten Daniel, die besagt, dass es 4 Weltreiche gibt – das letzte ist das der Römer – und danach geht die Welt unter. Und da man ja sich nichtig vorstellen kann, man lebt noch in der eigenen Zeit, die Römer sind schon nicht mehr da, muss man also selber entweder nicht mehr da sein oder Römer.“
Durch diesen Glauben war es Karl möglich zu behaupten, dass es Gottes Wille sei, dass sein Römisches Reich fortbestand. Und wer wollte sich schon gegen den Willen Gottes stellen, wenn doch die Angst vor der Apokalypse allgegenwärtig war?
Martin Kintzinger: „Das kann man sehen wenn Berichte auftauchen über besondere Naturereignisse.
Sinnflutartige Regenfälle, Naturkatastrophen, großes Feuer – bei jeder Gelegenheit sagen die Menschen: Das ist eine Strafe Gottes. Daran kann man sehen, dass jetzt die Welt wahrscheinlich untergehen wird.“
Neben dieser religiösen Dimension war ein ganz konkreter Machtanspruch mit dem Kaisertitel verbunden, der wiederum auf das Weltreich der Römer zurück geht. Aber auch der Papst konnte seine Macht durch kircheninterne Reformen ausbauen.
Investiturstreit
So kam es im 11. Jahrhundert zum sogenannten Investiturstreit zwischen den beiden wichtigsten Amtsträgern der Christenheit. Professor Kintzinger erklärt:
Martin Kintzinger: „Also der Papst krönt den König zum Kaiser, und der Kaiser sagt dem Papst dafür Schutz zu gegen seine Feinde, und dann gehen beide auseinander und teilen sich den Job. Das geht nicht. Sondern der Papst sagt: Wenn ich dich zum Kaiser kröne, dann bist du es nur, weil ich dich kröne. Und der König sagt: Das stimmt gar nicht, ich bin das weil ich schon König bin, und es gibt keinen anderen, und du musst das einfach machen, ich bin es faktisch schon. Und aus diesem Gegensatz entsteht der ständige Streit.“
Den Titel eines Königs oder Kaisers zu führen, bedeutete im Mittelalter aber nicht bloß, dass man sich gegen andere Mächte behaupten musste. Er brachte auch eine ganze Reihe von Aufgaben mit sich.
Martin Kintzinger: „Er hat natürlich die Pflicht, das Reich in seiner ganzen Größe zu schützen, und als Friedensraum zu regieren. Es war schon auch, wenn man so will, ein Job. Es war eine harte Arbeit, wenn man das vernünftig gemacht hat. Die Vorstellung, wie wir das in der frühen Neuzeit kennen, dass der König einfach ein lustiges Leben lebt und sein Königreich läuft irgendwohin, und er merkt es nicht – das ist mittelalterlich nicht denkbar, das hätte kein König überlebt.“
Um etwa in lokalen Konflikten zu vermitteln oder Privilegien zu verteilen, mussten die Herrscher fast pausenlos durch das Reich ziehen. Das war damals oft mit großen Strapazen verbunden und erforderte körperliche und geistige Gesundheit. Doch allzu groß sollte man sich die Macht des Kaisers nicht vorstellen.
Martin Kintzinger: „Der König ist niemals im Mittelalter ein absoluter Herrscher. Kein König. Absolut in dem Sinne, dass er schalten und walten könnte, wie er will, ohne Absprache, und dass er über den Gesetzen stünde. Der König steht unter dem Gesetz, und zwar dem Gesetz des eigenen Reiches, das auch für ihn gilt, und natürlich dem Gesetz Gottes, das ihn zwingt, ein gerechter König zu sein.“
Dass es aber Kaiser und Könige geben musste, war für die Menschen des Mittelalters, gerade Bauern und Stadtbürger, selbstverständlich.
Martin Kintzinger: „Sie haben in einer geglaubten Weltordnung gelebt, die davon bestimmt wird, dass Gott eine Welt geschaffen hat, die irgendwann in der Apokalypse wieder untergehen wird. Und dazwischen hat Gott über die Menschen weltliche Herrscher gesetzt. Da muss man die nehmen, wie sie sind, und wir haben eben diesen, und da drüben wohnen Leute, die haben einen anderen.“
Das Reich existierte noch weit über das Mittelalter hinaus als Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation. Erst im Jahre 1806, als die Truppen Napoleons durch die Straßen Wiens marschierten, musste nun endgültig der letzte Kaiser abdanken. Was war passiert?
Martin Kintzinger: „Da hat sich sehr viel geändert. Das ist nicht mehr wirklich, in der Akzeptanz der Menschen, der gesalbte Herrscher, der irgendwie von Gott herausgehoben sei. Auch die Herrschergestalten des siebzehnten, achtzehnten Jahrhunderts sind nicht mehr die theologisch überformten Herrscher des Mittelalters.“
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