Comic-Bachelor: 3 Absolventen aus Münster im Porträt

Die Comic-Bachelors - FH MünsterNeben Hamburg, Karlsruhe und Düsseldorf kann man das Handwerkszeug zum Comiczeichner auch in Münster erlernen. Ich habe drei Studenten von der Fachhochschule Münster in der letzten Phase ihrer Comic-Abschlussarbeiten begleitet: Maike Venhofen mit ihrer Hypochonder-Charakterstudie „Rostblüte“, Udo Jungs Weltraum-Krimi „Slow Signal“ sowie David Scheffel, der in „o.D.D.“ einen kleinen Jungen auf Dimensionsreise schickt.

Hinweis: Die Leseproben der Comics findet ihr am Artikel-Ende.

An einem kalten, verregneten Novemberabend treffe ich mich das erste Mal mit Maike, Udo und David in einem Café. Auch Thomas Wellmann (Pimo & Rex-Interview), der die drei Studenten als Zweitprüfer betreut und den Kontakt hergestellt hat, ist gekommen. Während die Kaffeemaschine der Bar brüllt und die Bedienung das Bier bringt, füllt sich der Tisch mit den Arbeiten der drei Studenten. Ich sehe fertige Zeichnungen, Charakterstudien, Storyboards und mir wird klar: Dies ist nicht der Beginn ihrer Comicprojekte, sie stecken bereits mitten drin.

Illustration studieren in Münster

Erstes Treffen - Skizze von Thomas Wellmann
Im Gespräch mit Udo, Maike und David (v.l.), Skizze von Thomas Wellmann

Während Thomas Comicseiten begutachtet und mit Bleistiftkommentaren versieht, frage ich die drei, was sie nach Münster verschlagen hat. „Ein bisschen Zufall war schon dabei“ gibt Udo Jung zu. Er hätte sich sicherlich auch in Hamburg beworben, aber dort könne man das Illustrations-Studium nicht zum Sommersemester beginnen. Für Münster habe er sich entschieden, weil ihm die Stadt gefiel. Das war auch für Maike Venhofen ein Grund, die sich noch gut an ihre praktische Prüfung zum Thema „Sitzen“ erinnern kann. Statt einfach nur Porträts sitzender Menschen zu zeichnen, entwarf sie damals einen kleinen Comic über die schwarze Bürgerrechtlerin Rosa Parks, die mit Sitzstreiks gegen die Rassentrennung in den USA protestiert hatte. Mit Erfolg, im Sommersemester 2010 begannen Udo, Maike und David ihr Studium in Münster.

Das Bachelorstudium Illustration besteht an der Fachhochschule Münster aus ein bis zwei Semestern Grundlehre und darauf aufbauenden Schwerpunktthemen. „Ich finde gut, dass man sich frei bewegen kann“, sagt Udo Jung. Die eher theoretischen Hauptkurse werden von Übungen begleitet, in denen einzelne Techniken erprobt werden. In der Übung „Digitale Illustration“ lernten die Studenten schließlich den Comiczeichner Thomas Wellmann kennen, der seit 2014 an der FH als Dozent lehrt. Als sie einen Zweitprüfer für ihre Comic-Bachelorarbeiten suchten, fiel ihre Wahl dann auch schnell auf ihn. Thomas: „Da ich ihre vorherigen Arbeiten bereits kannte, habe ich gleich ja gesagt.“ Ich frage, ob es normal sei, dass neben dem Erstprüfer auch der Zweitprüfer die Abschlussprojekte aktiv begleitet? „Das kommt durchaus vor“, versichert mir Thomas. „Man kann als Student natürlich auch alles alleine machen und seine Betreuer erst in der Abschlussprüfung wieder sehen. Die Meisten nutzen jedoch die Gelegenheit und treffen sich mit ihren Prüfern zu Korrekturterminen, um den Fortschritt ihrer Projekte zu besprechen. Wie oft das passt, ist individuell verschieden. Udo, Maike und David haben sich sowohl mit ihrem Erstprüfer, Prof. Felix Scheinberger, als auch mit mir getroffen.“

Warum überhaupt ein Comic als Abschlussprojekt? Mit Kommunikationsdesign ließe sich heute doch sicherlich mehr Geld machen. „Ich hatte schon immer das Ziel, einen Comic zu machen“, erwidert David Scheffel überzeugt. „Ich bin zwar gelernter Einzelhandelskaufmann, aber ich konnte mir nicht vorstellen, mit 64 Jahren noch Kreuzlatten durch den Baumarkt zu schleppen.“ Er lächelt. „Auch, wenn der Gedanke unrealistisch ist. Der kleine Junge in mir hofft natürlich immer noch darauf, dass ich mit Comiczeichnen reich und berühmt werde.“

Inspiration und Storyboard

Der Startschuss für die Comicprojekte fiel im Sommer. Zunächst haben die Drei ihre Semesterferien genutzt, um sich in ihre Themen zu vertiefen. So war Udo Jungs „Slow Signal“ ursprünglich nur eine Kurzgeschichte unter vielen. Als die Handlung jedoch immer länger wurde, beschloss er sich auf den Weltraum-Krimi zu konzentrieren. Wie Stanislav Lem wolle er eine Science Fiction-Geschichte erzählten, „die auf das Wesentliche reduziert ist. Ohne viel Schnickschnack.“ Auch der Weg von der ersten Idee bis zum fertigen Konzept von „Rostblüte“ nahm einige Umwege, berichtet Maike Venhofen. Bereits vor über einem Jahr habe eine Nachbarin sie zu ein paar Skizzen inspiriert, weil sie ständig mit ihren Vögeln redete. Aus diesem Fragment entstanden später die beiden Protagonisten von „Rostblüte“ – die hypochondrische Frau Rosalie und ihr sprechender Kater Gustav. David Scheffel wiederum war fasziniert von den Theorien des Mythenforschers Joseph Campbell, zu dessen Anhängern auch George Lucas zählt. Dessen Theorie besagt, dass sich sämtliche Erzählungen der Menschheitsgeschichte auf einige wenige Archetypen reduzieren lassen. Die Triebfeder hinter dem Comic „o.D.D.“ (other Dimension Dynasty) ist demnach das Spiel mit den Erzählkonventionen der klassischen Heldengeschichte.

Nach der Konzeptionsphase musste es im September schnell weiter gehen, immerhin haben die Prüflinge nur ein halbes Jahr Zeit für ihre Abschlussarbeit. Der nächste Schritt war somit das Storyboard, an dem die Drei – je nach Detailgrad – ein bis zwei Monate gearbeitet haben. Während die Kaffeemaschine ein weiteres Mal aufheult, erklärt Udo, dass er auch in dieser Phase noch viel „herum geschoben, geschraubt und getüftelt“ hätte. Das Nachdenken über den Aufbau der Comicseiten habe manchmal mehr Zeit in Anspruch genommen, als das Zeichnen selbst. „Gerade in dieser Phase war das Feedback von Thomas sehr wertvoll“, erzählt Maike. Im Abstand von 3-4 Wochen hätten sie sich mit ihm getroffen und den aktuellen Stand ihrer Arbeiten besprochen. Thomas Wellmann unterstreicht dies: „Das Storyboard ist eine wichtiger Schritt zum fertigen Buch. Hier kann man die Erzählung das erste Mal als Ganzes lesen und beurteilen, ob sie als Comic funktioniert.“

Zeitnot, Kompromisse und Storytelling

Bei allem Engagement für ihre Themen merkt man den Dreien an, dass ihnen nicht mehr viel Zeit bis zur Abgabe bleibt. „Wenn man bedenkt, dass eine Comicseite so viel Arbeit macht, wie drei Kinderbuchseiten, sind wir eigentlich bekloppt“, meint David. „Zumal jedes unserer Bücher um die 100 Seiten lang wird.“ Sofort entspringt unter den Studenten eine Diskussion darüber, wo man Zeit hätte sparen können. So vermutet Maike, dass sie „zu viel Zeit auf das Charakterdesign verwendet“ habe. Udo wiederum wollte sich ursprünglich sogar noch intensiver mit dem Raumschiff Hildegard 3 in „Slow Signal“ beschäftigen. „Ich hätte schon gerne einen konkreten Plan von dem Ding gezeichnet, damit alles am richtigen Ort ist und die Größenverhältnisse stimmen. Aber dafür war einfach nicht genug Zeit.“ Maike entgegnet: „Das stimmt, aber für die Geschichte ist das oft auch nicht nötig. Ich merke das selber, wenn ich stundenlang an ein paar Zeichnungen sitze. Man kann Szenen auch tot zeichnen. Weniger ist manchmal wirklich mehr.“ Dem pflichtet auch David bei: „Es muss nicht perfekt aussehen, um als Geschichte zu funktionieren.“ Am Ende sind sich aber alle einig, dass sich der Aufwand für ihre Abschlussprojekte lohnt. Das Schöne an einem Comic sei doch, dass man am Ende ein fertiges Buch in der Hand halte. „Bei Produktdesign oder Concept Art können das ja nur Ausblicke sein.“

Präsentation und „Parcours“

Szenenwechsel: Zwei Monate später besuche ich den „Parcours“ der Fachhochschule Münster. Für ein Wochenende verwandeln sich die Übungsräume der FH in eine Ausstellung, in der sämtliche Abschlussarbeiten des Fachbereichs Design präsentiert werden. Und das nicht nur zum Spaß: Die Ausstellung ist Teil der Bachelor-Prüfung. Wer jetzt jedoch museale Stille und leere Hallen erwartet, liegt falsch. Freitagnacht drängen sich hunderte gut gelaunte Studenten, Ehemalige und Design-Interessierte durch die Gänge des „Parcours“. Ein DJ sorgt im Foyer für die nötige Partyatmosphäre. Gespannt auf die fertigen Comics, finde ich bald den Raum, in dem Maike, Udo und David ihre Werke aufwendig präsentieren. Die Bachelors-Prüfung haben alle drei bestanden auch mit ihren Comics sind sie zufrieden. Und in der Tat, ein Blick in die gebundenen Ansichtsexemplare zeigt, dass die Erzählungen noch mal einen großen Sprung nach vorne gemacht haben: einzelne Charaktere sind deutlicher herausgearbeitet, die Kolorierung wurde überarbeitet oder Panelstrukturen korrigiert. Auch Thomas Wellmann, der zur Eröffnung gekommen ist, zeigt sich zufrieden mit seinen Prüflingen. Darüber hinaus gefällt ihm das Konzept des Parcours: „In Düsseldorf, wo ich studiert habe, gab es zwar genauso gute Abschlussprojekte – die Organisation der Gesamtausstellung ist in Münster aber deutlich besser gelungen. Auch jenseits der Comics!“

Der Sprung ins kalte Wasser

Und nach dem „Parcours“? Ich frage die Drei, was ihre Pläne sind, jetzt da sie den Bachelors in der Tasche haben. Soll es womöglich weiter gehen, in Richtung Comic? Udo Jung ist da eher skeptisch. „Comics zu machen ist super anstrengend. Als fulltime-Comiczeichner wäre ich nach ein paar Jahren wahrscheinlich ausgebrannt. Erstmal werde ich versuchen als Illustrator über die Runden zu kommen. Zum Beispiel im Editorial Bereich. Comics mache ich doch lieber nebenbei, ohne Deadline.“ Trotzdem sei er froh, den Comic gemacht zu haben. So konkret sind die Vorstellungen von Maike Venhofen noch gar nicht. „Was es auch sein wird, ich weiß, dass ich weiter Geschichten erzählen will. Egal ob durch Illustration, Animation oder Comic. Ob ich damit Geld verdienen kann, ist eine andere Frage.“ Aktuell arbeite sie mit einer Freundin an dem Konzept für einen Animationsfilm, welches sie an eine Produktionsfirma verkaufen wollen. „Auch wenn ich in den Comicbereich eher reingerutscht bin, will ich mit der Community weiter in Kontakt bleiben, Workshops machen, Festivals organisieren oder Ähnliches.“ Für David Scheffel steht die Entscheidung Comiczeichner zu werden hingegen fest. „Ich bleib‘ dabei, auch wenn es brotlos ist. Allein für meinen inneren Seelenfrieden will ich zumindest ein Buch verlegen und der Welt hinterlassen. Ob das gleich bei o.D.D. klappt oder erst beim zweiten Buch wird sich zeigen.“ Als ich frage, ob sie denn schon auf der Suche nach einem Verlag für ihre Comics seinen, nicken alle drei. Maike hat sogar schon Probeexemplare verschickt, David und Udo überlegen noch, welche Verlage für ihre Comics infrage kommen. Eine sichere Zusage hat aber noch keiner der Drei. Aber das kann sich ja noch ändern. Ich wünsche ihnen auf jeden Fall viel Glück!

Leseproben

Steckbrief „Slow Signal“

Cover - Slow SignalIllustrator: Udo Jung (Udos Blog)
Genre: Science Fiction, Weltraum-Krimi
Grafischer Stil: Farbig, perspektivisch, der Strich erinnert an Nick Pitarra (Manhattan Projects) und frankobelgische Künstler
Klappentext: Der Reaktor an Bord des Transportraumschiffes Hildegard 3 wird durch einen unglücklichen Zwischenfall beschädigt. Ohne Aussicht auf unmittelbare Hilfe steckt das Schiff im Weltraum fest. Nicht gerade eine Situation in die man als blinder Passagier geraten möchte. Vor Allem, wenn man gerade einen Mord an einem der Mitreisenden begangen hat.
Leseprobe „Slow Signal“

Stechbrief „Rostblüte“

Illustratorin: Maike Venhofen
Genre: Sozialdrama, Komödie
Stil: Sehr leicht koloriert, starke Konturen, die Figuren erinnern an Charaktere aus dem Hause Pixar
Inhalt: Die hypochondrische Dame Rosalie hat von ihrem Vater einen chaotischen Schrottplatz geerbt. Durch den Tod des Vaters muss sich Rosalie nicht nur ihren eigenen Zwängen, sondern auch dem Vermächtnis des Vaters stellen.
Leseprobe „Rostblüte“

Steckbrief „o.D.D.“

Cover - oDDIllustrator: David Scheffel (Davids Blog)
Genre: Fantasy, Coming-of-Age
Stil: zweifarbig, mitunter auch abstrakt, erinnert an Gaming-Cartoons à la Adventure Time
Klappentext:  Das ist mal wieder typisch: Cooper hat sich rausgeschlichen,um im Comicladen die neusten Exemplare zu durchstöbern. Als ihm auffällt, das er wieder mal viel zu spät dran ist, um seinen letzten Bus nach Hause zu erwischen. Doch selbst als er ihn erwischt, hätte er darauf achten sollen wohin die Reise in dem Bus geht. Denn ehe er sich versieht ist Cooper schon in o.D.D. angekommen.
Leseprobe „o.D.D.“

Weitere Links

Bildnachweis: oDD – David Scheffel, Rostblüte – Maike Venhofen, Slow Signal – Udo Jung, Skizze – Thomas Wellmann

2 Kommentare

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.