Auf dem Comic-Salon in Erlangen gewann Thomas Wellmann mit dem Fantasy-Comic „Pimo und Rex“ den ICOM-Preis für das beste Artwork. Ich habe den Illustrator getroffen und mit ihm über die Entwicklung der Geschichte, geometrische Magie, Wes Anderson und Adventure Time gesprochen.
Als ich mich mit Thomas Wellmann zum Interview in einem Café verabrede, bin ich zuerst etwas enttäuscht; hatte ich doch darauf spekuliert ihn an seinem Arbeitsplatz zu treffen. Die Hoffnung, so etwas wie Werkstattgeruch zu schnuppern und vielleicht den ein- oder anderen Blick auf noch unveröffentlichte Skizzen zu werfen, schien dahin. Aber weit gefehlt. Als ich das SpecOps-Café in Münster betrete, sehe ich, dass Thomas Wellmann auch diesen Ort zu seinem Arbeitszimmer gemacht hat. Über eine große Zeichenkladde gebeugt, arbeitet er am Inking eines neuen Comics. Es sind also keine Skizzen und Scribbles, sondern fertige Seiten, die er hier jetzt gerade produziert, zwischen Tür und Angel, zwischen Milchcafé und dem nun beginnenden Interview. Aber fangen wir von vorne an…
Idee und Entwicklung
Hallo Thomas. Kannst Du uns zunächst einmal erzählen, wie ist die Idee für „Pimo und Rex“ entstanden ist?
Hallo. „Pimo und Rex“ habe ich direkt nach meiner Diplomarbeit (Der Ziegensauger, 2011) gemacht. Nach dem Ziegensauer war ich plötzlich selbständig. Also habe ich nach freien Projekten gesucht, bei denen ich mitmachen kann. So bin ich auf ein kanadisches Anthologie-Magazin (The Anthology Project) gestoßen. Ich sollte für sie eine Geschichte zum Thema obsession beisteuern, Seitenzahl egal. „Hagion Pneuma“, wie „Pimo und Rex“ damals hieß, ist dann auch relativ schnell entstanden. Ich hatte danach zwar durchaus Lust, die Geschichte weiter zu entwickeln, aber dazu kam es erst mal nicht.
Erst Anfang 2013 ergab sich wieder eine Gelegenheit. Ich wollte zusammen mit den Leuten von Rotopolpress, die ja auch den Ziegensauger verlegt haben, nach Angoulême zum Comicfestival fahren. Sie haben mich dann gefragt, ob ich „Hagion Pneuma“ nicht noch mal drucken lassen wollte, da die Geschichte auf Englisch geschrieben war und dort somit besser unter die Leute zu bringen ist. Ich fand die Idee gut und hab ja gesagt. Als ich mir den Comic aber noch mal angeguckt habe, war ich überhaupt nicht mehr zufrieden. Ich habe ihn deswegen noch mal komplett neu gezeichnet.
Das heißt, von den Originalbildern ist in der neuen „Pimo und Rex“-Version nichts mehr zu sehen?
Genau. Die erste Geschichte – „Magret“ – ist vom Text her zwar quasi die Original-Geschichte, aber neu gezeichnet. Auch das Format hat sich verändert. Allerdings war der Comic so zu dünn, um daraus ein eigenes Buch zu machen. Deswegen habe ich noch eine zweite Geschichte mit Pimo und Rex gemacht: „Der Goldene Lügner“.
Was war denn zuerst da. Die Figuren oder die Welt?
Ich hatte zunächst die Idee für eine Geschichte. Ich dachte, ich könnte etwas über einen Succubus machen. Das sind Dämonen, die feuchte Träume verursachen sollen. Ich wollte das als Ausgangspunkt nehmen und drum herum eine Geschichte bauen. Die ersten Skizzen sahen vom Stil her noch ganz anders aus. Das waren richtige Menschen.
Von der Succubus-Idee habe ich mich dann aber immer weiter entfernt, habe Sachen dazu gezeichnet und an der Story herum geschraubt. So ist aus dem Dämon die Muse Margret geworden, weshalb ich einen neuen Bösewicht brauchte. So hat sich das alles weiter entwickelt, aber sehr homogen. Richtig loslegen konnte ich jedoch erst, als ich die beiden Hauptfiguren – Pimo und Rex – gefunden hatte. Danach ging dann alles sehr schnell.
Ist diese Entwicklungsphase denn etwas, das bei Dir eher über Skizzen oder über Schrift läuft?
Beides. (Thomas Wellmann schlägt die Kladde vor ihm auf, blättert und zeigt auf eine Seite mit Skizzen und Notizen.) Hier zum Beispiel eine Seite aus meinem aktuellen Projekt „Carmilla“. Wie man sieht, mache ich mir zwar auch handschriftliche Notizen. Ich versuche diese aber möglichst schnell als Bild umzusetzen, damit ich sehen kann, ob die Idee auch als Comic funktionieren würde (mehr zu Carmilla weiter unten).
Einflüsse und Genrekonventionen
Was hat Dich während der Entwicklung von „Pimo und Rex“ inspiriert? War die Fantasy-Serie Donjon vielleicht Vorbild für die Geschichte?
Das ist schwierig zu sagen… meistens sind es ja gar nicht die offensichtlichen Sachen. Donjon war zum Beispiel kein direkter Einfluss. Der liegt eher im Film.
In wie fern?
„Pimo und Rex“ sähe sicherlich anders aus, wenn ich mir in der Zeit Monty Python nicht noch mal komplett angeguckt hätte. Dadurch kamen Elemente aus dem englischen Spießbürgertum und des Gentlemens in die Geschichte. Monty Python hat bestimmt auch die Sprache beeinflusst, da die Originalgeschichte ja auf Englisch erschienen ist. Ich wollte damals etwas seltsam-europäisches für die Kanadier machen. Daran hatte ich viel Spaß.
Die Muppets sind auch ein größerer Einfluss. Weniger von der Optik her, als von der Konzeption. Dass die Figuren eben keine Tiere sind, sondern einfach Charaktere. Uno, der Bösewicht aus „Pimo und Rex“, ist ja auch nicht unbedingt ein Hase, auch wenn er zwei lange Ohren hat.
Für den Stil waren die Filme von Wes Anderson wichtig. Ich meine damit nicht, dass ich versucht hätte, die Optik zu kopieren. Es ist eher der Herangehensweise und das Tempo aus seinen Filmen, die mich inspiriert haben. Manchmal denke ich zum Beispiel an ihn, wenn es darum geht, schnelle Szenenwechsel und Dialoge zu generieren.
Und wie steht es um die Cartoon-Serie „Adventure Time“? Immerhin hast Du vor Kurzem an einigen Episoden mitgearbeitet.
Durchaus. „Adventure Time“ war für mich ein Vorbild, weil sich die Erzählung Zeit lässt und auch auf nette Weise tiefe Themen behandelt; und das die Figuren Freunde sind. Die Freundschaft zwischen den beiden Hauptcharakteren – Finn und Jake – ist eine Freundschaft auf Augenhöhe, das fand ich super (mehr zu Adventure Time weiter unten).
Der Bösewicht aus „Pimo und Rex“ ist ein gescheiterter Maler, Rex ist homosexuell und die Muse Atheist. Hast Du „Pimo und Rex“ bewusst als Genrebruch angelegt?
Nein. Ich sehe den Comic nicht als Fantasysatire. Auch Donjon habe ich nicht als Genrebruch gelesen. Das interessiert mich gar nicht so sehr, weil ich das Genre Fantasy eigentlich ganz gerne mag. Ich will mich also gar nicht großartig darauf beziehen und eine große Welt bauen. Es soll um die Figuren gehen und was die gerade so brauchen. Deshalb beziehe ich mich zumindest nicht absichtlich auf die Genrekonventionen der Fantasy.
Format und Geometrie
Wenn man das Buch das erste Mal in der Hand hält, fallen die geometrischen Formen auf dem Cover auf. Wie kam es dazu?
Das Cover kam so zustande: Ich hatte zuerst ein vollkommen anderes Titelbild gemacht, eine große, Fläche-füllende Illustration (siehe rechts). Das war Rotopolpress jedoch zu klassisch. Stattdessen haben sie sich etwas gewünscht, was den Zwischenbildern entspricht, die vor jedem Kapitel zu sehen sind. Ich fand die Idee zuerst doof. Nach einigem hin und her ist dann das aktuelle Cover entstanden, mit dem ich jetzt aber sehr zufrieden bin, weil es in der Serie sehr gut funktioniert. Ich kann jetzt immer wieder verschiedene Elemente frei anordnen.
Ich glaube die Idee für die geometrischen Formen entstand, weil ich Lust hatte, relevantere Details zu zeigen und gleichzeitig zu reduzieren. Außerdem habe ich viel Spaß an diesen großen bunten Formen. Auch inhaltlich passt das neue Cover sehr gut zum Comic, immerhin spielt die geometrische Magie von Leo (dem Partner von Rex) ja auch eine Rolle in der Geschichte.
Eine weitere Besonderheit ist ja das doppelseitige Wimmelbild am Ende des Buchs, das mit den beiden Hauptgeschichten nichts zu tun hat…
Stimmt. Das war ursprünglich eine Schwarz-Weiß-Illustration für das Magazin „Karagöz“. Da mir das Motiv gefallen hat, habe ich es für „Pimo und Rex“ einfach noch mal gezeichnet und koloriert.
Das ist übrigens das Schöne an dem Format der Serie: Dadurch, dass es immer mehrere kleine Geschichten sind, bin ich beim Schreiben sehr frei. Ich kann Material, das nebenher entsteht, ohne Probleme mit in das Buch nehmen. Das können dann auch einzelne Bildelemente sein, wie das Wimmelbild oder die Weltkarte in der Mitte des Buchs.
Wann können wir denn mit dem nächsten Teil von „Pimo und Rex“ rechnen?
Eigentlich sollte Teil 2 jetzt im November erscheinen, aber den Termin können wir leider nicht halten. Die Geschichte hat sich noch stark verändert und ich hatte viele andere Aufträge, so dass die Zeit knapp wurde. Deshalb kommt der nächste Teil nun im Frühjahr nächsten Jahres raus. Aber er wird auch dicker, wahrscheinlich werden es diesmal so um die 60 Seiten.
„Adventure Time“ und weitere Projekte
Womit verdienst Du Deine Brötchen, wenn Du nicht gerade Comics zeichnest?
Ich mache hauptsächlich Illustration in allem möglichen Formen. In letzter Zeit habe ich aber auch viel für Animation gearbeitet. Ich habe zum Beispiel Hintergründe und Characterdesign für die amerikanische Cartoon-Serie „Clarence“ gemacht. Außerdem hatte ich die Gelegenheit zusammen mit Jessy Myniham Storyboards für „Adventure Time“ zu zeichnen.
Ist das denn der Normalfall? Münster liegt ja nicht gerade im Einzugsgebiet von L.A. …
Die Animationsstudios gucken sich im Moment sehr stark um und nehmen dementsprechend auch Leute von außerhalb. Und dann ist es total egal, wo die wohnen. Für Kleinigkeiten muss man ja nicht gleich da hin ziehen. Ich weiß von mehreren Adventure Time-Leuten, die statt in L.A. in Kanada wohnen oder in England.
Was reizt Dich an der Arbeit an „Adventure Time“ besonders?
Das Besondere an „Adventure Time“ ist, dass die Serie storyboard driven ist. Die Leute, die die Zeichnungen machen, bekommen nur sehr wenig Text und dürfen alles ändern.
Das wird dadurch noch verstärkt, dass sie in der Animation den Zeichenstil der einzelnen Storyboarder übernehmen. So wirkt die Serie immer frisch – das sieht man manchmal dadurch, dass sich der Zeichenstil mitten in der Episode ändert, weil die Storyboarder wechseln. Das ist mitunter ein Grund dafür, warum „Adventure Time“ für die Independent-Comic-Szene in den USA so eine Art Zentrum geworden ist.
Und der Comic, an dem Du eben gerade noch gezeichnet hast?
Das sollen mal ca. 250 Seiten werden. Hoffentlich werden es weniger. Es ist eine Vampir-Geschichte mit dem Namen „Carmilla“. Das ist eine Adaption von einer ganz frühen Vampir-Geschichte für Reprodukt. Das Projekt hat sich bereits sehr lang verzogen. Aber jetzt baue ich zum ersten Mal fertige Seiten.
Das ist in sofern ganz angenehm, weil es mein erstes analoges Comic wird. Da ich diesmal tatsächlich auf dem Papier zeichne, kann ich überall arbeiten – auch hier im Café – und muss nicht immer vor dem Rechner sitzen. Ich kann aber noch nicht sagen, wann der Comic fertig wird. Ich bin da noch ganz am Anfang.
Das heißt, Du kannst hier im Café komplett fertige Seiten machen? Ohne Zeichenbrett, Vorzeichnungen, Computer & Co.?
Ja schon. Ich finde, es geht bei Comiczeichnen am Ende immer darum, dass man schnell zeichnet – eben weil es so viel Arbeit ist. Für mich fühlt sich das jetzt am besten an. Mir bereitet das zeichnen im kleinen Format so viel Freude, weil ich da sehr schnell bin, weil ich schnell einen Überblick bekomme.
Ich habe gerne einfaches Handwerkszeug. Komplexe Vorgänge, wie Verkleinern, Vergrößern, Tuschen – all das versuche ich zu vermeiden. Bei meinen digitalen Comics ist es zum Beispiel auch so, dass ich dann fast alles am Rechner mache, um effizient zu sein. Auch die Skizzen, die Vorzeichnungen und die Koloration, alles geschieht in einer Datei. Ich behalte meistens noch nicht einmal mehr Skizzen, weil ich vergesse, sie abzuspeichern. Dem ein- oder anderen Freund von „Pimo und Rex“, der eine Originalseite oder Skizze kaufen wollte, musste ich also schon sagen: „Sorry, aber das Original gibt es nicht.“
Thomas, vielen Dank für das Gespräch!
Postskriptum: Wie mir Blank Slate eben gerade auf Twitter bestätigte, wird auch Pimo & Rex 2 bei ihnen auf Englisch erscheinen.
@BlankSlateBooks Your’re welcome! Will the second vol of Pimo and Rex be published by you as well? In English I mean.
— Philipp Spreckels (@epenschmied) 14. November 2014
@epenschmied yes, it will. We love Thomas!
— Blank Slate (@BlankSlateBooks) 14. November 2014
Links zum Weiterlesen
- Website von Thomas Wellmann
- „Pimo und Rex“-Leseprobe bei Rotopolpress (Deutsch) und bei Blank Slate (Englisch)
- Wimmelbildoriginal im Magazin „Karagöz“
- [Ergänzung am 13.05.2015]: Interessante Strategie: Statt auf die Veröffentlichung der Papier-Version zu warten, erscheint der Vampir-Comic von Thomas Wellmann nun kostenlos im Web. http://anearlyfright.tumblr.com
Bildnachweis: Pimo und Rex-Illustrationen – Thomas Wellmann, Rotopolpress und Blank Slate. Carmilla-Illustrationen – Thomas Wellmann. Portrait und weitere Fotos – Philipp Spreckels.
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