Woran Jim Sterankos S.H.I.E.L.D. heute scheitert

Alle SHIELD-Geschichten von Steranko in einem BandJim Steranko gilt als einer der einflussreichsten Künstler der amerikanischen Comicgeschichte und seine Mitarbeit an SHIELD (1966-1968) als Kronjuwel seiner kurzen Schaffenszeit. Gerade seine bunten, psychodelisch anmutenden Grafiken, in denen er den SHIELD*-Agenten Nick Fury im Kampf gegen die Verbrecherorganisation HYDRA** begleitet, machten ihn auch über das Medium Comic hinaus bekannt. Es ist also kein Wunder, dass die von Sterankos SHIELD heute zu den Klassikern der Comicliteratur gehört.

Aber Klassiker hin oder her – ich selbst konnte SHIELD kaum etwas abgewinnen. Durch die „Complete Collection“ musste ich mich regelrecht durch quälen. Aber woran liegt das? In dieser Notiz will ich herausfinden, warum mir Jim Sterankos Comics so sehr missfallen.

Exkurs: Jim Sterankos Mitarbeit an S.H.I.E.L.D.

Jim Steranko der Zeichner Kolorist und Autor von Nick Fury Agent of Shield

Kritik ist nur dann fair, wenn sie den Richtigen trifft. Aus diesem Grund will ich hier einen kurzen Überblick geben, wer bei SHIELD für was verantwortlich war.

Als Jim Steranko im Dezember 1966 die grafische Gestaltung von „Strange Tales“ übernahm, war er ein Neuling im Comicgeschäft. So ist es kein Wunder, dass Steranko sich in den Ausgaben 151-153 zunächst noch an die Layoutvorgaben der Zeichnerlegende Jack Kirby halten musste. Die Texte lieferten Stan Lee und Roy Thomas. Sterankos Arbeiten müssen jedoch derart überzeugt haben, dass Stan Lee sich zu einem ungewöhnlichen Schritt entschloss: Schon nach drei Ausgaben machte er Steranko zum alleinigen Zeichner, Koloristen und Autor von „Strange Tales“ (154-168) und dem darauf folgenden „Nick Fury, Agent of S.H.I.E.L.D.“ (1-3, 4) – Stan Lee selbst blieb Editor der Comicserie. So unverhofft Sterankos Aufstieg im Comicgeschäft war, so plötzlich kam sein Abschied. 1968 nach nicht einmal zwei Jahren Arbeit bei Marvel-Comics endete seine Mitarbeit an SHIELD.

 

Sterankos Umgang mit Text ist das Problem

Ich habe nichts gegen Nick Furys dandyhafte Sprüche, SHIELDS absurde Gadgets oder Hydras hirnlose Schergen – gut gemachten Trash weis ich sehr wohl zu schätzen. Das Verhältnis von Text und Bild in Sterankos SHIELD-Geschichten bereitet mir jedoch Kopfschmerzen.

Action mit angezogener Handbremse: Wie der Text den Lesefluss hemmt

Nick Fury kämpft gegen den Hydra-Chef – Shield von Jim Steranko

Man sollte meinen, dass gerade die Action-geladenen Abenteuer von Nick Fury von einem flotten Erzählstil getragen werden. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Ich habe kaum einen Comic gelesen, in dem das Erzähltempo derart am Boden klebt, wie bei Jim Sterankos SHIELD. Schuld ist meiner Meinung nach ein Missverhältnis von Text und Bild. Erst Stan Lee und Roy Thomas und dann Jim Steranko belasten gerade Actionszenen mit derart viel Text, dass diese zäh wie Sirup vor sich hin fließen, statt den Leser mitzureißen. Kein Kinnhaken, der nicht kommentiert werden muss – kein Bösewicht, der seinen Angriff nicht mit einem „Hail Hydra!“ in die Länge zieht. Und wenn mich unnötige Sprechblasen schon ärgern, treiben mich inhaltliche Redundanzen erst recht zur Weißglut. Ich habe mich als Leser mehr als einmal gefragt, ob Stan Lee und Jim Steranko beim Texten der Comics noch ganz bei Trost waren, wenn fast jede grafisch codierte Information innerhalb desselben Panels durch Sprechblasen oder Erklärkästen (Captions) wiedergekäut wird – als ob es sich um die TV-Übertragung eines Fußballspiels und kein Comic handelt.

All dies lässt eins nicht aufkommen – Geschwindigkeit – und das in einem Erzählmedium, zu dessen Alleinstehungsmerkmalen gerade die individuelle Lesegeschwindigkeit zählt! Denn im Gegensatz zur Lektüre eines Romans lässt sich beim Lesen eines Comics die Lesegeschwindigkeit anpassen. Je nachdem, ob der Leser die Bilder nur flüchtig betrachtet oder genau studiert, wird auch die Lesegeschwindigkeit schneller oder langsamer. Der Text eines Comics muss jedoch meist in Gänze gelesen und verstanden werden. Das Verhältnis von Text und Bild gibt das Tempolimit eines Comics vor. Und genau hier liegt der Knackpunkt von Jim Sterankos SHIELD: Obwohl die Story durchaus Actionszenen bietet, überfrachtet der Autor sie derart mit Text, dass man sich als Leser geradezu ausgebremst fühlt.

Ausschnitt aus S.H.I.E.L.D. Steranko
Ausschnitt aus S.H.I.E.L.D.

Too much information: Wie der Text eigene Interpretationen verhindert

Der schlecht dosierte Einsatz von Text führt zu einem weiteren Problem: Statt die wirklich eindrucksvollen Bilder hin und wieder für sich sprechen zu lassen, wird jedes noch so kleine Panel mit einer erläuternden Gedankenblase oder einem Erklärkasten zugekleistert. Somit verspielt Steranko eine weitere Stärke des Mediums Comic – die Bildinterpretation. Gerade Comics haben die Möglichkeit, mit Hilfe von Bildern Informationen zu vermitteln, ohne diese gleich erläutern zu müssen. Dies gilt sowohl für eher abstrakte Bildelemente und Farbtöne wie auch für konkrete Formen, Gestik und Mimik. Wenn ich als Leser also nur das zerschundene, zornige Gesicht von Nick Fury sehe, kann ich mir selber ausmalen, wie es um sein Innenleben bestellt ist – doch nur, wenn mir diese Freiheit nicht durch vorgegebenen Interpretationen in Form von Denkblasen oder Ähnlichem genommen wird. Leider ist Letzteres in Jim Sterankos SHIELD die Regel.

Ursachenforschung

Comics mit einem Missverhältnis von Text und Bild lassen sich zu jeder Zeit und in jedem Genre finden. Aber dennoch bleibt die Frage, warum das Text-Bild-Verhältnis gerade in Jim Sterankos SHIELD so misslungen wirkt?

1. These: Nur eine Revolution zur Zeit

Agent of Shield

Um nicht falsch verstanden zu werden: Auf der Bildebene sind Jim Sterankos Geschichten wegweisend und stellen in vielerlei Hinsicht einen radikalen Bruch mit den damaligen Traditionen dar. Aber ein Comic besteht eben nicht nur aus Bildern, sondern auch aus Text, sodass ich aus heutiger Sicht die Grafiken durchaus zu würdigen weiß – der Text mich jedoch ratlos zurück lässt. Aber vielleicht muss ich die Kritik an Jim Steranko an dieser Stelle etwas eingrenzen, entstanden die Nick Fury-Geschichten doch keineswegs im luftleeren Raum.

Im Gegenteil: Jim Steranko begann seine Karriere bei Marvel Comics nicht als Autor und Zeichner einer völlig neuen Serie, sondern musste sich an vorhandene Strukturen anpassen. In den 16 Ausgaben vor Steranko (seit 1965) hatten bereits Jack Kirby (Zeichnungen), Stan Lee und Roy Thomas (Text) die Serie und ihre Charaktere geprägt und sowohl auf grafischer wie auch auf textlicher Ebene gewisse Traditionen etabliert. Und während Steranko die grafischen Traditionen schon zu Beginn herausforderte, ließ er das Verhältnis von Text und Bild nahezu unangetastet. Zwar gibt es auch hier einige Lichtblicke, wie die seitenweise gänzlich ohne Sprache auskommende Geschichte „Who is Scorpio?“ (Nick Fury, Agent of S.H.I.E.L.D. #1, S. 241), diese sind jedoch leider die Ausnahme. Ich vermute, dass Jim Steranko und Stan Lee mit Blick auf die Verkaufszahlen davor zurückschreckten, neben dem grafischen Traditionsbruch gleichzeitig auch einen Bruch der textlichen Traditionen zu wagen. Die Gefahr ihre Leserschaft mit zu vielen Veränderungen zu überfordern und sie somit zu verlieren, wird ihnen bewusst gewesen sein.

2. These: Mit dem Umfang steigt der Anspruch

Eine weitere Ursache für meine Abneigung gegen die SHIELD-Texte ist der Umfang, in dem ich sie gelesen habe. Ich bin mir sicher, dass mein Urteil milder ausgefallen wäre, hätte ich nur 2-3 Comichefte von Steranko gelesen. In dem Fall hätte ich mich wahrscheinlich auf die Bildebene konzentriert und den Text wenig beachtet. Dies war beim Lesen des 326 Seiten starken Sammelbandes „S.H.I.E.L.D. by Steranko – The Complete Collection“ nicht möglich, denn mit dem Umfang eines Comics steigt erfahrungsgemäß auch die Bedeutung der Handlung (Spannungsbögen, Metaplot etc.) und der Sprache (Stil, Text-Bild-Verhältnis). Schlussendlich hat mir also das Verhältnis von Text und Bild die Freude an dem Sammelband verdorben. Ich kann beim Kauf von Sammelbänden also nur zur Vorsicht raten: Wer sich für einen Zeichner / Autor – zumal aus einer Zeit mit anderen Lesegewohnheiten – interessiert, sollte es zunächst langsam angehen lassen und erst bei Bedarf den Kauf von Sammelbänden erwägen; andernfalls droht ein böses Erwachen.

Who is Scorpio kommt seitenweise ohne Text aus - Nick Fury von Jim Steranko
Who is Scorpio kommt seitenweise ohne Text aus – Nick Fury von Jim Steranko

 

Fazit

So genial auch die Zeichnungen oder die Kolorierung eines Comics sein mögen, wenn der Text oder die Story nicht stimmt, ist der Gesamteindruck getrübt. Und so wird SHIELD mir persönlich durch den Umgang mit Text leider in schlechter Erinnerung bleiben, auch wenn ich mittlerweile für seinen Autor Jim Steranko Verständnis aufbringen kann.

 

Benutzte Ausgabe und Bildnachweis: „S.H.I.E.L.D. by Steranko – The Complete Collection“ erschien 2013 als Softcoversammelband bei Marvel und enthält die „Strange Tales“-Ausgaben 151-168 sowie „Nick Fury, Agent of S.H.I.E.L.D.“ 1-3 und 5. Im Jahr 2000 erschien ein Teil der Geschichten (Strange Tales, 150-168) als limitierte Prachtausgabe unter dem Titel „Nick Fury – Agent von S.H.I.E.L.D.“ bei Panini.

*: Das Akronym S.H.I.E.L.D. steht Ende der 1960er Jahre für die Geheimorganisation „Supreme Headquarters International Espionage Law-enforcement Division“, die im Auftrag der US-Regierung gegen Bedrohungen wie HYDRA kämpft. Nick Fury ist zuerst Kolonel und dann Direktor von SHIELD.

**: Die meisten Bedrohungen, denen sich Nick Fury in „Strange Tales“ stellen muss gehen auf die Terrororganisation HYDRA zurück, deren Ziel eine diktatorische Weltherrschaft ist.

4 Kommentare

  1. […] die Texte jedoch enttäuschen. So habe ich festgestellt, dass ältere Comicgeschichten, wie Jim Sterankos S.H.I.E.L.D., von ganz anderen Seh- bzw. Lesegewohnheiten ausgehen. Wenn mich ein Comic genügend frustriert, […]

  2. Cooler Beitrag. 🙂

    Zum Exkurs:
    Steranko ging von Marvel weg weil es Streitigkeiten zwischen
    ihm un Stan Lee zu der Art und Weise seiner Comics gab.
    Er mochte es nicht wenn seine Freiheiten beschnitten und ihm
    in seine Arbeit rein geredet wurde. Er war schon immer etwas egozentrisch.

    Der Umgamg mit Text – Das bremsen der Action:
    Es kommt teilweise tatsächlich etwas „over-witten“ daher.
    Dazu muss man aber wissen das zu jener Zeit nur derjenige als
    Autor und Texter bezahlt wurde, der auch Text lieferte….
    Kein Text? Dann hat er auch nicht „gearbeitet“, somit gibt es auch kein Geld..!
    Selbst in den 1980ern war es noch so.
    Bestes Beispiel was die „Silent Issue“ von G.I.Joe #21 wo Snake Eyes
    (der ein stummer Ninja ist) sich lautlos in eine Cobra Festung einschleicht.
    Und eben so lautlos wie gekonnt die Gegner ausschalet um Scarlet aus der
    Gefangenschaft zu befreien. Der Autor (Larry Hamma) bekam dafür KEIN Geld, weil nichts geschrieben wurde.
    Er bat aber trotzdem um die Veröffentlichung und verzichtete auf das Geld was er dafür
    bekommen hätte. Es gab einige Leser die sich betrogen fühlten weil man das Heft so schnell
    „durchgelesen“ hatte.

    Too much information:
    Ja, damals war es noch nicht so weit.
    Alan Moore’s Watchmen ist da schon weitaus weiter.
    Dave Gibbons hat das geschafft was dieser Beitrag vermisste… 😉

    Die Hefte mit weniger Text und mehr Action /Eye Candy
    gab es in der Zeit bevor die Comic-Blase platze. (späte 1990er)
    Sie galten irgenwdwann als zu dünn und „ohne Story“.
    Das kann Steranko’s NF nicht vorgeworfen werden. 😀

  3. Cooler Kommentar. 😉

    Im Ernst, danke für deine ausführlichen Gedanken und Hintergrundinformationen!

    Das mit dem „vorwerfen“ ist natürlich etwas diffizil:
    – Variante 1: Ich kann Steranko vorwerfen, was mir aus heutiger Sicht nicht zusagt.
    – Variante 2: Ich kann Steranko nur das vorwerfen, was auch aus der damaligen Perspektive kritisierenswert wäre.

    Als Rezensent / Kritiker würde ich mich natürlich nur ungern auf Variante 1 beschränken. Ich denke das kannst Du nachvollziehen.

    Grüße, Philipp

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