Ein Q History-Interview mit Eva Schlotheuber zu Diplomatie im Mittelalter.
Im zehnten Jahrhundert reiste der italienische Gesandte Liutprand von Cremona ins ferne Byzanz. Seine diplomatische Mission, eine Heirat zwischen einer byzantinischen Prinzessin und dem Sohn Otto des Großen herzustellen, scheiterte kläglich. Wir haben Prof. Dr. Eva Schlotheuber von der Universität Münster getroffen und mit ihr über Gesandtschaften und Diplomatie im Mittelalter gesprochen.
Q HISTORY: Frau Schlotheuber. Wie heute die Bundeskanzlerin oder der Außenminister auf diplomatische Reise gehen, so gab es auch im Mittelalter Gesandtschaften zwischen Königen und Kaisern, Herzögen und Grafen. Warum machte man sich damals auf den riskanten Weg, waren es die gleichen Gründe wie heute?
Eva Schlotheuber: Gesandtschaften dienten im Mittelalter, nicht anders als heute, dem Austausch zwischen Herrschern und Völkern. Für diese Gesandtschaften kamen, wenn sie beispielsweise in den Raum des Islam oder in den des Byzantinischen Reiches gingen, nur sehr wenige Leute in Frage. Das ist ein großer Unterschied zu heute, denn man musste gute Sprachkenntnisse haben und in der Lage sein, andere Religionen zu tolerieren. Die üblichen Gelehrten waren somit für politische Missionen in den islamischen Raum ungeeignet. Man hat deswegen oft auf Juden oder arabische Kaufleute zurückgegriffen, die diesem besonderen Profil besser gerecht wurden.
Liutprand von Cremona hingegen stammte aus einer Diplomatendynastie. Schon sein Vater und sein Schwiegervater wurden zu Gesandtschaften nach Konstantinopel eingesetzt, so dass diese Erfahrungen über Verhalten und die zeremonielle Formen in Byzanz in der Familie weitergegeben wurden.
Das Reich Byzanz
Q HISTORY: Die Gesandtschaft Liutprands von Cremona sollte ja mit dem Byzantinischen Reich Kontakt aufnehmen, das damals etwa das Gebiet der heutigen Türkei und große Teile Griechenlands umfasste. Wer waren eigentlich diese Byzantiner?
Eva Schlotheuber: Die Byzantiner sind das Ergebnis des Umzugs Kaiser Konstantins und der Gründung der Stadt Konstantinopel. Als das ehemalige Römische Reich in der Mitte des vierten Jahrhunderts das Christentum annahm, wurde es zum Oströmischen (christlichen) Reich. Es hat eine eigene Liturgie entwickelt und mit Griechisch eine eigene Kirchensprache. Dazu kommt, dass es zwei Kaiser gab: einen Oströmischen Kaiser und seit Karl dem Großen einen Weströmischen Kaiser, die sich beide auf das Römische Reich beriefen und ganz eigene Entwicklungen durch machten. Der dogmatisch-religiöse Bruch zwischen beiden erfolgte dann während des Investiturstreits unter Leo IX.
Zwei Kaiser-Problem
Q HISTORY: Warum war es denn ein so großes Problem, wenn es zwei Kaiser gab? Gab es nicht auch mehrere Könige? Und waren die beiden Reiche nicht auch mehrere tausend Kilometer von einander entfernt?
Eva Schlotheuber: Es ist deswegen ein Problem, weil der Kaiser den Anspruch auf hegemoniale Macht über die ganze Welt inne hat und nun mit der Kaiserkrönung Karls des Großen ein konkurrierendes Kaisertum hinzu kommt. Man schafft es über das ganze Mittelalter, bis zum Ende des byzantinischen Reichs 1452, eigentlich nicht, ein stabiles Verhältnis zwischen den Kaiserreichen herzustellen. Da beide den Anspruch haben, die höchsten Monarchen der Welt zu sein, bleiben zwei Hierarchien mit jeweils umfassendem Machtanspruch nebeneinander bestehen. Das führt natürlich gerade dann zu unendlichen protokollarischen Schwierigkeiten, wenn diese Mächte aufeinandertreffen.
Q HISTORY: Eine Generation nach Liutprand kam mit Theophanu eine byzantinische Prinzessin an den ottonischen Hof, die im Ostfränkischen Reich das Bild von Byzanz geprägt hat. Aber was wusste man vor Theophanu vom fernen Byzanz?
Eva Schlotheuber: Der Westen wusste lange sehr wenig über das Byzantinische Reich. Die ottonischen Herrscher kommen aus einer Tradition, in der Konstantinopel außerhalb des eigenen Horizonts liegt. Es konnte nur eine sehr kleine Schicht Latein und nahezu niemand Griechisch. Die kulturelle wie religiöse Welt, die mit Byzanz zusammenhing, war somit praktisch unbekannt. Das änderte sich ein wenig, als man begann, Missionare in den Osten zu schicken und dadurch die Oströmische Kirche als Institution wahrzunehmen. Dennoch, ein richtiger Wandel vollzog sich erst mit Theophanu, der Gemahlin Ottos II. Plötzlich tauchten Leute auf, die des Griechischen mächtig waren; Griechisch gehörte auf ein Mal zum Gelehrtenprofil dazu und es schien, als ob man sich auch diese Welt erschließen konnte, selbst wenn man nicht hinreisen konnte.
Q HISTORY: Kommen wir noch einmal konkret auf die Reise Liutprands von Cremona zurück. Warum war man zu diesem Zeitpunkt am ottonischen Hof so stark an einer Heirat zwischen dem Sohn Ottos und einer byzantinischen Prinzessin interessiert? Immerhin lagen beide Reiche doch im Streit um Gebiete in Süditalien …
Eva Schlotheuber: Man hatte damals verschiedene diplomatische Mechanismen, um mit Konflikten umzugehen, auch mit solchen Konflikten, wie sie auf Kirchengebiet und in Unteritalien geherrscht haben. Ein Mittel war Krieg, was für die ottonischen Kaiser, auf Grund der weiten Entfernung und wegen der Seuchengefahr für die Heere, nur bedingt in Frage kam. Weitere Möglichkeiten beinhalteten die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen, Bündnisverträge und eben auch die Heirat. Ich glaube man hat immer alle Strategien gleichzeitig gefahren, um sich eine möglichst gute Position zu sichern und den Konflikt zu seinen Gunsten zu lösen. Besonders große Probleme entstanden immer dann, wenn man es mit einem Verhandlungspartner zu tun hatte, der ständisch nicht auf der gleichen Stufe stand. Dann fiel der gesamte Teil des Einheiratens und der Versippung weg. Im Fall Liutprands sagen die Byzantiner, dass die Ottonen eigentlich nicht ebenbürtig sind, um in die Kaiserfamilie einzuheiraten. Durch eine Heirat hätte der oströmische Kaiser ja anerkannt, dass eine prinzipielle Gleichheit möglich wäre. Und das wollte man auf jeden Fall vermeiden.
Q HISTORY: Das scheint dann doch eine sehr heikle Angelegenheit gewesen zu sein. Liutprand hat ja einen ausführlichen Bericht seiner Reise an den Hof Kaiser Ottos geschickt. Halten Sie den Bericht für glaubhaft?
Eva Schlotheuber: Also, glauben sollte man den Quellen erst einmal überhaupt nichts! Es ist immer kritische Quelleninterpretation gefragt. Gerade die wörtliche Rede ist ja ein Stilmittel aus der Antike, um bestimmte wichtige Passagen hervorzuheben und niemals als Tatsachenbericht zu bewerten. Die Schwierigkeit bei dem Bericht des Liutprand von Cremona liegt darin, dass man seine Intention nicht kennt. Es ist einerseits ein sehr anschaulicher Bericht, der viele Details enthält, andererseits ist er durch seine Haltung stark eingefärbt. Man kann einfach nicht erkennen, von welchem Standpunkt aus Liutprand seine Reisebeschreibung verfasst hat.
Liutprand von Cremona
Q HISTORY:Kommen wir noch einmal auf den Verfasser des Reiseberichts zurück: wer ist Liutprand von Cremona, welchem sozialen Umfeld entstammt er, wo wurde er ausgebildet?
Eva Schlotheuber: Liutprand ist ein Flüchtling, der in seinem angestammten Wirkungsbereich, unter Berengar II., nicht mehr bleiben konnte und dann an den Hof von Otto des Großen floh. Er gehörte zu der Oberschicht, die europaweit agiert hat.
Das darf man sich auch im Früh- und im Hochmittelalter nicht lokal begrenzt vorstellen. Diese Oberschicht hat sehr, sehr weit agiert und auch sehr weit geheiratet, während die große Masse der Bevölkerung extrem ortsfest war. Dieses Verhältnishat sich im Laufe des Mittelalters immer weiter aneinander angeglichen – die Fürsten gingen eine engere Verbindung ein mit dem Land, das sie beherrschten, und gleichzeitig wurden breite Gruppen mobiler. Das ist eine Grundsatzdynamik, die im Laufe des Mittelalters in Gang kommt. Im Frühmittelalter sind Geschlechter wie die Welfen und die Karolinger, aber auch solche Hochadeligen wie Liutprand von Cremonas Familie wirklich europaweit tätig. Leider wissen wir nicht, wie Liutprand sich selbst gesehen hat, oder welche Funktion er eigentlich hatte. Überhaupt wissen wir über Gesandtschaften im frühen und hohen Mittelalter herzlich wenig. Ich stell es mir so vor, dass das Gewerbe der Diplomatie unter Otto dem Großen noch nicht professionalisiert war. Das änderte sich dann unter Otto II., der einen neuen Horizont und auch eine neue Ausbildung erfahren hat. Nach meiner Wahrnehmung war der Alltag von Gesandten in dieser frühen Phase noch stark von ad-hoc-Entscheidungen geprägt. Überhaupt musste man erst einmal jemanden finden, der das konnte und das auch noch auf eigene Kosten! Das Gesandtschaftswesen war also kaum professionalisiert, jedenfalls nördlich der Alpen. Südlich der Alpen sah das zwangsläufig anders aus.
Q HISTORY: Es gab damals also keine professionelle Ausbildung zum Diplomaten wie heute. Wie sah es denn mit dem Diplomatenalltag in Konstantinopel aus, was erwartete Liutprand dort?
Eva Schlotheuber: Das kommt natürlich ganz auf die Grundbedingungen an, in denen die Gesandtschaft stattfindet. Man war ja schon seit längerem gezwungen mit Byzanz zu kommunizieren, jedenfalls von Italien aus. Liutprands Stellung war also nicht ganz so fragil. Man hat sich aber immer wieder gegenseitig abgetastet: wie mächtig ist der andere, wie ist seine Stellung im eigenen Land, wie stark ist seine militärische Macht, und so weiter. Dafür waren Gesandte natürlich auch da, um die gewonnenen Eindrücke zurückzumelden. Darüber hinaus gab es ein ganz ausgeklügeltes System, wie man in Konstantinopel mit Gesandten umgegangen ist. Diese waren nämlich nicht so machtlos wie es auf den ersten Blick aussieht. Es kam durchaus vor, dass Gesandte während ihres Aufenthalts mit den Gegnern des jeweiligen byzantinischen Herrschaftshauses diplomatische Beziehungen aufnahmen, um sich Vorteile zu verschaffen.
Diplomatenalltag
Q HISTORY:In Liutprands Bericht wird ein Gastmahl des byzantinischen Kaisers beschrieben, bei dem der Gesandte der Bulgaren, der als ziemlich barbarisch beschrieben wird, an der Tafel den Platz vor Liutprand einnehmen darf. Dieser verlässt daraufhin entrüstet den Raum. Warum teilt er uns diese Anekdote überhaupt mit?
Eva Schlotheuber: Weil das natürlich seinem Auftraggeber, Otto dem Großen, signalisiert, wie er, als sein Vertreter, aufgenommen wird und wie die Stellung Ottos in den Augen des byzantinischen Hofes ist. Wenn man den bulgarischen Gesandten vorzieht, ist das eine Kränkung und das will er dokumentieren.
Q HISTORY: Worauf beruht ein solches Denken? Warum blieb Liutprand nichts anderes übrig als den Raum zu verlassen? Hätte er den Bulgaren nicht einfach ignorieren können?
Eva Schlotheuber: Nein. Im Mittelalter wurden Rangverhältnisse und Beziehungen im Zeremoniell abgebildet, so dass es natürlich elementar wichtig war, den Rang einnehmen zu können, der einem zusteht. Wenn man einmal einer Rangminderung zugestimmt hatte, ist es kaum noch möglich da wieder herauszukommen. Unter Umständen hat man dann für nachfolgende Gesandtschaften, oder gar ganze Generationen, eine ganz schlechte Voraussetzung geschaffen. So etwas konnte Liutprand von Cremona natürlich auf keinen Fall zulassen. Die einzige Möglichkeit, auf so etwas zu reagieren war Protest und Empörung.
Sowohl freundschaftliche als auch agonale Beziehungen, aber auch kritische, feindliche Beziehungen wurden beim Aufeinandertreffen von zwei Parteien im Zeremoniell abgebildet. Und da es keine andere Form gibt – keine Verträge zwischen Personen oder Nationen, kein geschriebenes Völkerrecht -, war dies die einzige Möglichkeit, um ein Beziehungsgeflecht abzubilden. Für uns ist es heute erstaunlich, dass dieses Ritual- und Zeremoniegedächtnis so unglaublich prägend und bewusst war. Für Rituale und Zeremonien war es essentiell, dass diese öffentlich waren. Erst dies verlieh ihnen Rechtswirksamkeit. Auch normale Rechtsstreitigkeiten, die nichts mit hoher Diplomatie oder Herrschaft zu tun hatten, wurden so vollzogen. Wenn Sie zum Beispiel einen Acker gekauft haben, gab es verschiedene Möglichkeiten dies kenntlich zu machen: Sie reiten einmal drum herum oder Sie setzen sich drei Tage darauf; die schriftliche Tradierung durch eine Urkunde kommt erst später dazu. Die Menschen waren darauf geeicht, dass rechtsrelevante Akte in öffentlichen Ritualen vollzogen wurden. Dagegen konnte sich die Schrift nur langsam durchsetzen, gerade weil viele Beteiligte gar nicht erst schreiben konnten.
Q HISTORY:Warum, denken Sie, hat Liutprand von Cremona eigentlich diesen Gesandtschaftsbericht verfasst? Steckt mehr als nur Pflichtbewusstsein dahinter?
Eva Schlotheuber: Dieser Gesandtschaftsbericht scheint mir tatsächlich so etwas zu sein wie ein Weg, dem an diplomatischem Gedächtnis armen Hof der Ottonen ein Erfahrungspotential zu bieten. Möglicherweise hat man auch seine Arbeit nicht so gewürdigt, wie er das gewöhnt war, denn die ganze Schriftkultur ist in Italien ja doch anders gewesen, so dass er versucht hat mit dem Bericht auf sich aufmerksam zu machen.
Q HISTORY: Frau Schlotheuber, wir danken für dieses Gespräch.
Die Fragen stellen Henrik Kipshagen und Philipp Spreckels.
Fotos: copyright by Philipp Spreckels, marfis75 und Bundesarchiv