Seit dem frühen 10. Jahrhundert ein beständiger Faktor: die Einwanderung aus Mexiko.
Ein Q History-Beitrag über Mexikaner und Amerikaner in Kalifornien.
Wer die aktuelle Integrationsdebatte verfolgt, kann das Gefühl bekommen, Deutschland hätten die Probleme im Umgang mit Einwanderern gepachtet …
Weit gefehlt! Gerade das berühmteste Einwanderungsland der Welt – die USA – haben z. B. in Kalifornien massive Probleme mit der Integration der mexikanisch-stämmigen Bevölkerung.
Bei uns im Studio ist nun Frau Prof. Dr. Silke Hensel, die an der Uni Münster besonders im Bereich der außereuropäischen Geschichte tätig ist.
Die Indianer und Spanier waren zuerst da
Q History: Frau Hensel, bei Migration denken wir meist an Immigration. Wie sieht das denn in Kalifornien aus, wer ist zuerst dagewesen?
Silke Hensel: Man muss natürlich erst einmal feststellen, dass die Native Americans zuerst dagewesen sind.
Wenn man von den Kolonialmächten ausgeht, sind es die Spanier, die den heutigen Südwesten der USA als erste kolonisiert haben. Es wird eben häufig so getan, als seien die weißen US-Amerikaner die ersten gewesen und das ist nicht der Fall. Kalifornien hat durchaus einige Jahrzehnte zu Mexiko gehört.
Ein Problem des 20. Jahrhunderts
Q History: Und wieso nimmt man dann die kalifornischen Mexikaner heute als Immigranten war? Was war passiert?
Silke Hensel: Nun geändert hat es sich zunächst einmal durch den Krieg zwischen den USA und Mexiko 1846-1848, in dem die USA die überlegene Macht waren – Mexiko musste unter anderem Kalifornien abtreten.
Dass Mexikaner heute als Einwanderer und häufig dann auch noch als sogenannte illegale Einwanderer angesehen werden, ist eine Entwicklung, die seit dem frühen 20. Jahrhundert stattgefunden hat. Damals hat die Einwanderung aus Mexiko in die USA stark zugenommen und ist seit dem ein ständiger Faktor, bis auf ups and downs auf Grund der wirtschaftlichen Entwicklung.
Das Geschichtsbild der weißen Siedler
Q History: Aha. Sie haben vorhin davon gesprochen, dass man oft so tut, als ob die Weißen die ersten gewesen seien. – Was ja offensichtlich nicht stimmt. – Wie hat man sich so ein Geschichtsbild konkret vorzustellen?
Silke Hensel: Es ist natürlich insgesamt eine Wahrnehmung der Gesellschaft, dass die USA weiß sind – Mexikaner gelten nicht als weiß – und das sie protestantisch sind – Mexikaner sind im wesentlichen katholisch. Man muss dann noch dazu rechnen, dass der Südwesten zum Teil als leeres Gebiet angesehen wird, der von den USA besiedelt aber keineswegs erobert worden ist.
Q History: Man liest ja immer wieder davon, dass Kalifornien in 20 oder 30 Jahren mehrheitlich von Mexikanern bewohnt werden wird. Stimmt das? Und welchen Einfluss hat dieses Bild für die Integrationsdebatte vor Ort?
Silke Hensel: Es ist in der Tat so, dass die Bevölkerung in Kalifornien immer stärker, entweder Mexikanisch ist oder von Mexikanern abstammt. In sofern wird das Spanische in Kalifornien zu einer immer wichtigeren, ja zu einer öffentlichen, Sprache. Diese Entwicklung löst Ängste aus, es wird von Überfremdung gesprochen.
Gerade in den letzten Jahrzehnten gibt es eine verstärkte Bewegung der Ausgrenzung von Einwanderern und das trifft mexikanisch-stämmige Einwanderer sehr stark, die nicht als integrationswillig angesehen werden. Es gibt in den USA aber auch immer wieder – und das hat sicher mit der Einwanderungsgeschichte zu tun – Phasen, in denen zuvor illegale Einwanderer über rechtliche Maßnahmen gleichgestellt werden und als Einwanderer anerkannt werden.
Sprache: Englisch oder Spanisch?
Q History: Um die Sprache wird sich in den Debatten ja oft gezankt. Auch hier in Deutschland. Was ist denn nun aber das Besondere an der sprachlichen Situation in den USA?
Silke Hensel: Es gibt keine normative Festlegung: Englisch ist die Sprache der USA – und deswegen müssen alle Englisch lernen. Es gibt sehr viele Debatten um bilinguale Erziehung gerade in Kalifornien. Da geht es dann um das Spanische als die zweite Sprache. – Es gibt einige Stadtteile in Los Angeles, in denen Sie mit Englisch tatsächlich nicht weiter kommen. Wenn Sie Spanisch sprechen, dann haben sie gute Karten. – Und deswegen sind die Ängste gegenüber dem Spanischen, das nicht nur in Kalifornien stärker wird, von Leuten die dieses angloamerikanische Erbe hoch halten, besonders groß.
Q History: Amerika hat ja immer noch sehr stark mit den Folgen der Wirtschaftskrise zu kämpfen. Hat sowas Einfluss auf die Debatte? Wie sind die Amerikaner bei früheren Krisen mit dem Thema umgegangen?
Silke Hensel: Die Geschichte der Einwanderung von Mexikanern in die USA lehrt uns, dass immer in solchen Zeiten, wo die wirtschaftliche Situation schlecht war, in der Regel solche Einwanderungsdebatten aufgekommen sind und das angeblich die Migranten daran Schuld seien und das man sie nur nach Hause schicken müsse und dann würde es besser werden.
Mexikaner sind beispielsweise während der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren zurück nach Mexiko deportiert worden, zum Teil auch US-Staatsbürger, also Mexikaner, die in den USA geboren waren!
Die Grenze zwischen Kalifornien und Mexiko
Q History: Frau Hensel, wenn man von Einwanderung in die USA spricht, darf man die Einreise selbst natürlich nicht vergessen. Was ist so besonders an der Grenze zu Mexiko?
Silke Hensel: Das Spezielle ist zum einen, dass es zwei Länder aus gänzlich unterschiedlichen wirtschaftlichen Situationen hier an dieser Grenze zusammentreffen. Nämlich einmal die USA – Teil der sogenannten Ersten Welt -, während Mexiko zur Dritten Welt gezählt wird. Das heißt, eine hochentwickelte Industrienation gegenüber einem Schwellenland, in dem es noch sehr viel mehr Armut gibt als in den USA. Dann kommt hinzu, dass die Grenze in den letzten Jahrzehnten sehr stark militarisiert worden ist, dass sie mit den Zäunen, Mauern und Bewachungsanlagen schon fast wie der Eiserne Vorhang anmutet.
Q History: Die Einwanderung ist ja aber nicht das einzige Grenzproblem. Oder?
Silke Hensel: Nein. Die Grenze wird in den USA insgesamt als problematisch angesehen, einerseits wegen der nicht dokumentierten Einwanderer und andererseits wegen der Drogen, die eben hauptsächlich über diese Grenze in die USA importiert werden. Für die Migranten ist das ein extremes Problem, weil sie da zwischen die Fronten geraten und häufig in Mitleidenschaft gezogen werden.
Der Drogenkrieg in Mexiko
Q History: Sie sprechen vom Drogenkrieg in Mexiko. In welchen Dimensionen muss man sich das denn vorstellen?
Silke Hensel: Ich weiß, dass es seit 2006 ist ja der neue Präsident in Mexiko – Felipe Calderón – an der Macht, der diesen Drogenkrieg betreibt. Und seit dem sind etwa 24.000 Menschen in diesem Drogenkrieg umgekommen. Also das ist also eine erhebliche Zahl …
Q History: … und der Krieg in Afghanistan soll ja im Vergleich ca. 14. bis 34.000 zivile Opfer gekostet haben
Moderator: Daniel Meyer
Autor/Redaktion: Philipp Spreckels
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