Ende November 2009. 5:30 Uhr
Aufstehen, anziehen, Hoodie oder Hemd? Abnahmekonferenz … also Hemd!
5:20 Uhr Mit dem Drahtesel zur Bahn, ja nichts vergessen? Viel zu früh da. Das macht 20 Minuten warten und gefühlte zehn verpasste Käffchen. Mist!
9:00 Uhr ICE, fahren nach Berlin. Alte Notizen nochmal durchgehen. Wer wohl alles kommt? Was aus den Konzepten geworden ist? Ist das Hemd jetzt doch zu fein?
10:28 Uhr Berlin, Alexanderplatz, Endstation: gelangweilt lehnen zwei Freund & Helfer mit Maschinenpistolen neben Dunkin Donuts und Dönerbude. Gleich geht‘s los!
10:40 Uhr Schon wieder zu früh da … egal. Alexanderplatz 6. Ministerium für Reaktorsicherheit. Hier bist du richtig. Der Wachmann guckt nur kurz von der Zeitung auf und taucht dann wieder in den Sportteil ab. Bin wohl doch kein Sicherheitsrisiko.
10:50 Uhr Sechste Etage, Radon Labs. Ich marschiere schnurstracks zu den Büros. Eine Dame im Kostüm hält mich auf: „Kann ich Ihnen helfen?“ Empfangsdamen? Das ist neu! Mit Sneakers, Hoddie und prallem Rucksack weise ich mich als „Teilnehmer der AddOn-Abnahmekonferenz“ aus und werde durchgelassen.
Ankommen. Durchatmen. Puh – geschafft.
Die üblichen Verdächtigen
Im Konferenzraum sehe ich vertraute, aber auch unbekannte Gesichter. Die Herren des Hauses Radon Labs, Bernd Beyreuther (Creative Director), Philipp Rosenbeck (Projekt-Leiter des AddOns) und Fabian Rudzinski (Lead Gamedesigner); Und natürlich das DSA-Dreigespann Florian Don-Schauen (Story-Autor), Thomas Römer (Chefredakteur) und Patric Götz (Verlagsleiter). Nach einem kurzen Hallo stürze ich mich mit Patric auf die Snacks. Erstmal einen kleinen Happen essen. Auf der Fensterbank liegen belegte Brötchen – duftender Kaffee dampft vor sich hin. Ich mache mit Boris Arendt Bekanntschaft, der als Skript-Autor zu Fabians Schreib-Stall gehört. Ein Mann mit schwarzem Hemd und Hose mich fragt, wer ich bin. „… der die Überarbeitung der Phileasson-Saga betreut hat, und wer bist Du?“ „Das Geld!“ und setzt sich grinsend. Das Geld … ach so. Das muss Markus Plötz, der Geschäftsführer von Ulisses sein. Schlussendlich gesellt sich noch Mario Truant zur Ulisses-Crew und wir sind komplett. Roman-Autoren, Game Designer, Geschäftsführer, Chefredakteure, Creative Directors, Verlagsleiter … und ich. Na das kann ja heiter werden!
Aventurische Stimmigkeit und Phileasson-Kompatibilität
Nach ein paar Willkommensworten muss Bernd leider schon gehen. Während wir mit dem AddOn schon Zukunftsmusik für den Sommer des nächsten Jahres spielen, sind anderswo noch alle Gedanken auf den kommenden Spätwinter gerichtet: Deadline für Drakensang: Am Fluss der Zeit. Aber schnell zurück in die warme AddOn-Zukunft: hier ist das Eis recht schnell geschmolzen, inhaltlich diskutieren wir alle auf Augenhöhe. Von 11 Uhr morgens bis in die dunklen Abendstunden brüten wir über den Konzeptpapieren zum „Am Fluss der Zeit – AddOn“, wie es auf der Titelseite heißt.
Das von Fabian, Boris und Philipp ausgearbeitete Papier wird von allen gründlich auf aventurische Stimmigkeit und Dramaturgie abgeklopft; Ich bin dann nochmal speziell für die Kompatibilität mit der Phileasson-Neuauflage zuständig. Von der korrekten Hautfarbe des Waldmenschen Ynu über den Anteil der weiblichen Crewmitglieder bei Thorwalern bis hin zum individuellen Hintergrund der Hauptcharaktere und den „floralen Mustern“ der hochelfischen Kultur … alles wird lang und breit geprüft und diskutiert.
Begeistert sind wir vom frischen Look, mit dem Grafiker die neue Location des AddOns abgebildet haben. Das Design der Hochelfen-Metropole Tie‘Shianna grenzt sich bewusst ab vom all zu oft kopierten Stil der Herr der Ringe-Filme und greift stattdessen Motive der römischen und ägyptischen Antike auf. (Beiläufig stoße ich unter den Artworks auch auf den Arbeitstitel des AddOns. Drakensang: The Secret of Phileasson.) Aber auch im graphischen Bereich wird fleißig kommentiert und kritisiert. So beharrt Thomas bei einem Bild auf etwas mehr Realismus und weist darauf hin, dass „die Axt am Zwerg und nicht der Zwerg an der Axt hängen sollte“. An anderer Stelle werden die Inschriften auf den hochelfischen Schwertern als „zu abgehackt für das schwunghafte Asdharia“ (die Sprache der Hochelfen) kritisiert.
Für Traumschlösser ist kein Platz. Philipp als Projektleiter muss uns immer wieder bremsen, wenn wir drohen abzudriften. Denn obwohl das Drakensang-Universum mit Tie’Shianna um ein völlig neues und exotisches Setting bereichert wird – Phileassons Geheimnis ist und bleibt ein AddOn, dass natürlich ein geringeres Budget hat als der Volltitel Am Fluss der Zeit.
Erstaunt sind wir dann aber doch, als klar wird, wie minutiös Radon Labs einige Details schon vorplanen musste. Auf naiv dahin geworfene Vorschläge der DSA-Fraktion wie „warum können wir hier nicht noch einen Charakter einbauen?“ hat Philipp dann auch immer eine Antwort: „Hier können wir nur X unique charakters einbauen.“ Und: „Für Phileasson haben wir leider schon zu viele unique gestures verbraucht.“ Anders als in der privaten Pen & Paper Rollenspielrunde, in der nur die eigene Phantasie Grenzen setzt, lassen sich im digitalen Games-Business mit einer Hand voll Chips und einem Schluck Cola eben keine Albtraumschlösser, Königreiche und Orklegionen erschaffen. Aber selbst mit diesen Voraussetzungen lässt sich einiges anstellen. Gerade weil wir die neue Location in eine Globule (eine Art Zwischenwelt) verlegt haben, eröffnen sich uns ganz neue Möglichkeiten, die Budgetgrenzen sinnvoll zu umgehen.
Fertig. Sowohl die RadonLabs-Jungs als auch die Ulisses-Fraktion ist ziemlich erschöpft, aber zufrieden. Zur Freude aller lädt uns Bernd zu einem gemütlichen Italiener um die Ecke ein. Bei meinem ersten Berliner Weißen, Pasta und Parmesan entfernen wir uns langsam von Aventurien. In entspannter Atmosphäre unterhalten wir uns über die Sopranos, Ferien in Finnland, sowie Mass Effect bis hin zu internetfreien Sonntagen.
18:21 Uhr Thomas, Florian und ich steigen in unseren ICE. Die nächsten Stunden unterhalte ich mich mit Thomas über belgische Comics und die Answin-Biographie. Von Florian bekomme ich die wohl hundertste Empfehlung, George R. R. Martins „Das Lied von Eis und Feuer“ zu lesen.
22:25 Uhr Müde, aber zufrieden komme ich in Münster an, radel nach Hause, falle ins Bett. Licht aus, gute Nacht.
So anstrengend kann Rollenspiel sein.
Obere Reihe: Patric Götz, Philipp Spreckels, Markus Plötz, Mario Truant, Bernd Beyreuther, Thomas Römer und Boris Arendt.
Untere Reihe: Philipp Rosenbeck, Florian Don-Schauen, Fabian Rudzinski.
PS: Radon Labs hat am 12. Mai Insolvenz angemeldet. Phileassons Geheimnis soll trotzdem wie geplant im August 2010 erscheinen. Die Zukunft des dritten Drakensang-Teils ist jedoch ungewiss. „Das Lied von Eis und Feuer“ steht immer noch auf meiner Leseliste.
[…] „Am Fluss der Zeit“ und der Phileasson-Saga sollten vermieden werden.) entwickelte sich produktiver und kreativer als gedacht. In Zusammenarbeit konnten einige offene Handlungsstränge verbunden und bis dahin […]
[…] Gegen Ende der Phileasson-Saga erreichen Fenvarien, den Hochkönig der Elfen, bizarre Bilder, die nicht seinen Erinnerungen entstammen zu scheinen … Nach ersten Hinweisen werden in diesem Kurzgeschichten-Prolog drängende Fragen zum Am Fluss der Zeit-Addon „Phileassons Geheimnis“ beantwortet, aber auch neue Rätsel gestellt. Näheres erfährt man aber auch im Bericht über die finale Story-Konferenz des Addons. […]